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Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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Tischplatte auf. Dann brachte ich mein Gesicht so nah an das von Gunnar Thiel, dass ich die dunkelgrüne Krause wahrnehmen konnte, die als feiner Kreis seine Iris umrundete.
    »Und wer ist – wir ?« Meine Stimme war so leise, dass die Frage fast bedrohlich klang. »Menschen, die Freude daran haben, andere Menschen zu ängstigen, ihre Gefühle zu verändern und sie sich gefügig zu machen?«
    Ich musste mich zusammenreißen, doch gerade das deutliche Gefühl, manipuliert worden zu sein, gab mir die Kraft, wieder auf Distanz zu gehen.
    Gunnar Thiels Lächeln wurde breiter. Dann richtete er sich auf und trat einen Schritt zurück.
    »Chapeau, Jakob Roth! Sie fühlen wirklich deutlich mehr, als ich gedacht hatte. Dürfte ich Sie bitten, für einen Moment draußen auf dem Flur zu warten? Tun Sie mir den Gefallen, ja? Ich muss kurz jemanden anrufen. Und danach klären wir alle Fragen, die Sie haben. Und noch mehr. Versprochen.«
    Für einen Augenblick musterte ich ihn prüfend, doch er ließ sich nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen. Und auch wenn ich es nicht gerne zugab – meine Neugierde war geweckt. Ich wollte wissen, was es mit diesem merkwürdigen Gebäude, mit den Nachforschungen, mit Gunnar Thiel auf sich hatte. Also nickte ich.
    »Ich gebe Ihnen fünf Minuten. Keine Sekunde länger.«
    ***
    »Und? Hat er es bei dir auch probiert?«
    Die Stimme überraschte mich in der Dämmerung des Flures aus dem Nichts.
    Ich wirbelte herum. Auf einer Bank am Fenster saß Gunnar Thiels Tochter. Ich hatte sie in dem Durcheinander ganz vergessen.
    Mirella verzog die Mundwinkel zu einem schadenfrohen Grinsen.
    »Oh, ich habe dich erschreckt? Entschuldige. War nicht meine Absicht.«
    Ich glaubte ihr kein Wort, aber ich winkte ab. »Halb so wild. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass du hier sitzt und wartest.«
    »Besonders gut bist du also noch nicht, hm?«, fragte sie, ohne den Blick von mir abzuwenden.
    Besonders gut? Worin?
    Ich ging einen Schritt auf sie zu. Selbst hier, im dämmrigen Licht des Ganges, konnte ich das strahlende Hellgrau ihrer Augen sehen. Die Art, wie sie mich musterte, abwartend und prüfend, erinnerte ohne Zweifel an ihren Vater. Doch da war noch etwas anderes. Ein amüsiertes Funkeln in der Tiefe ihres Blicks, das sich bei Gunnar Thiel nicht eine einzige Sekunde lang gezeigt hatte.
    Mirella saß im Schneidersitz auf der Bank, ihre langen Beine steckten in einer ausgewaschenen Jeans und der Rest von ihr in einem weiten grauen Wollpullover, der an den Ellbogen abgewetzt war. Ihre dunkelbraunen Haare fielen in weichen Wellen um ihr Gesicht. Sie sah aus wie eine 16-Jährige, die sich so gut wie überhaupt keine Gedanken über ihre Wirkung auf andere machte. Trotzdem war schon jetzt deutlich, dass aus ihr einmal eine attraktive Frau werden würde – und ich bezweifelte, dass dies den Genen ihres Vaters zu verdanken war.
    Ich lehnte mich ihr gegenüber mit dem Rücken an die Wand und kreuzte die Arme vor der Brust. »Was meinst du damit? Worin bin ich noch nicht besonders gut?«
    Sie rollte leise seufzend die Augen. »Ahnungslos bist du also auch noch. Alles klar, ich habe nichts gesagt.«
    Ich unterdrückte ein Lachen.
    »Ahnungslos? Ganz so würde ich das jetzt nicht unbedingt sagen …«
    Sie schüttelte mitleidig den Kopf. »Wenn du wüsstest.«
    Ich runzelte die Stirn. »Jetzt sag schon! Was soll dein Vater versucht haben?«
    Sie warf einen schnellen Blick links und rechts den Gang entlang, stand dann auf und kam zu mir herüber. Ich musterte sie gespannt. Konnte Mirella mir weiterhelfen? Mit Sicherheit wusste sie, was es mit dieser seltsamen Akademie auf sich hatte. Ihr Vater leitete den Laden schließlich.
    Sie brachte ihre Lippen so dicht an mein Ohr, dass ihr Atem mich kitzelte. Plötzlich roch es nach Pfefferminzkaugummi.
    »Ich soll dir was verraten? Keine Chance!«, flüsterte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Ich bin doch nicht wahnsinnig!«
    Damit trat sie einen Schritt zurück und lachte leise. Es klang hell, ein wenig rau und nicht unangenehm.
    Ich stöhnte entnervt auf.
    »Keine Sorge, du erfährst alles schon noch früh genug«, sagte sie und wurde plötzlich sehr ernst. »Vielleicht wünschst du dir dann, alles wäre einfach nur ein schlechter Traum gewesen …«
    Ich starrte sie an. Meine Kehle wurde trocken und plötzlich schien das Licht im Gang noch dunkler, noch bedrückender zu werden. War es Einbildung oder ging von Mirella eine Trauer aus, die sich mir regelrecht

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