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Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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Wenn ich mir selbst gegenüber ehrlich war, dann genoss ich es, anders zu sein. Auch wenn es nicht immer leicht war. Würde ich nicht genau diese Individualität verlieren, wenn ich mich in Strukturen begab, in denen das Besondere nicht mehr besonders war?
    Hades schien meine Bedenken zu spüren.
    »Keine Sorge«, sagte er leise. »Hier ist jeder immer noch er selbst. Und niemand wird zu irgendetwas gezwungen. Soviel kann ich versprechen.«
    Ich blickte ihn an. »Was ist Ihre besondere Fähigkeit?«
    Hades lachte verlegen. »Ich bin nicht wirklich besonders. Ich mag einfach die Medizin. Allerdings kann ich besser mit Toten umgehen als mit Lebenden.«
    »Ich glaube Ihnen nicht«, sagte ich aus einem Impuls heraus. »Da ist noch mehr.«
    Hades nickte anerkennend. »Verstehe. Schnell abschütteln lassen Sie sich also auch nicht. Okay, ich werde Ihnen erzählen, was ich kann. Aber nicht jetzt. Können wir uns darauf einigen?«
    Ich zögerte einen Moment, dann nickte ich.
    »Klar. Ich kann Sie ja nicht zwingen.«
    »Oh, es gibt Menschen hier, die könnten es«, erwiderte Hades ruhig.
    Mir jagte ein Schauer über die Haut. Bisher hatte ich nicht daran gedacht, dass jede Fähigkeit auch ihre Schattenseite in sich trug. Und dass jeder selbst entscheiden konnte, wie er seine Talente nutzte – positiv oder negativ. Der Gedanke, dass in dieser Akademie vielleicht auch Menschen mit besonderen Fähigkeiten waren, die sich nicht an die Regeln hielten, war beklemmend.
    »Sehen Sie? Und genau deshalb ist es wichtig, vorsichtig zu sein, nicht zu viel zu verraten und die Anwärter für die Akademie mit Sorgfalt auszuwählen«, sagte Hades, als antworte er auf meine Bedenken.
    Ich zuckte zusammen.
    »Das ist es also!«
    Hades hob eine Braue. »Was?«
    »Sie können Gedanken lesen!«
    Hades lachte leise.
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Seien Sie vorsichtig, was vorschnelle Vermutungen angeht.«
    Dann wurde er ernst und beugte sich vor. Sein Blick lag mit solcher Eindringlichkeit auf mir, dass ich ihm kaum standhalten konnte.
    »Jakob, um mich geht es hier nicht, sondern um jemand viel Wichtigeren: Sie. Ich würde gerne einige Tests mit Ihnen durchführen. Es geht darum, herauszufinden, wo Ihre Stärken liegen und was Sie vielleicht weniger gut können. Meinen Sie, Sie könnten sich darauf einlassen? Ich verspreche, es wird Ihnen nicht schaden.«
    Ich überlegte einen Moment. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Tests? Das klang nicht gut. Aber aus irgendeinem Grund vertraute ich Hades. Ich hatte den Eindruck, er war mir gegenüber ehrlich gewesen. Und würde die Akademie das Risiko eingehen, einen potenziellen Anwärter zu schädigen? Davon war nicht auszugehen. Also rang ich mich schließlich zu einem Nicken durch.
    Über Hades’ blasses Gesicht glitt ein strahlendes Lächeln.
    »In Ordnung. Fangen wir an.«
    Es weiß nicht, was genau Hades alles mit mir anstellte. Hirnströme wurden gemessen, mein Blut untersucht, neurologische Tests durchgeführt, weitere unzählige Fragen gestellt. Nach mehr als drei Stunden war ich vollkommen erschöpft und wünschte mir nichts mehr, als dass wir endlich zu einem Ende kämen. Egal, mit welchem Ergebnis.
    Hades musterte mich kritisch, während er den letzten Fragebogen abschloss.
    »Müde?«
    Ich nickte stumm.
    »Ein wenig. Und ich habe Kopfschmerzen.«
    Er setzte mit schnellen Strichen seine Unterschrift unter das Blatt – eines dieser typischen unleserlichen Kürzel seines Berufsstandes.
    »Das ist normal. Wie es aussieht, ist Ihre vorherrschende Fähigkeit die hochsensible Wahrnehmung. Empathie. Das kann man nicht dauerhaft aushalten, ohne dass es an die Substanz geht. Außer Sie lernen, professionell damit umzugehen. Es ist wie mit allem: Die Dosis macht das Gift.«
    »Und das kann ich hier in der Akademie?«, murmelte ich, während ich eine Hand an die Stirn legte und die Augen schloss. Hinter meinen Schläfen wummerte es düster und die Luft in diesem Kellerraum erschien mir plötzlich abgestanden und schal wie in einer Gruft.
    »Ganz genau«, hörte ich Hades sagen. »Aber die Entscheidung, ob Sie das Angebot annehmen und sich weiterentwickeln, liegt natürlich ganz bei Ihnen.«
    Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr zu sprechen.
    »Die Akademie ist mit der Intention gegründet worden, außergewöhnliche Talente zu fördern. In den Anfangsjahren waren es vor allem hellfühlige Menschen, die sich unter diesem Dach versammelten, aber auch solche, die durch ihre Träume die Zukunft

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