Ruf der Dunkelheit
dahin würde ich mir einfach erlauben, meine Probleme für einen Moment hinten anzustellen.
Ich verzog meine rot geschminkten Lippen zu einem honigsüßen Lächeln, als ich auf einen Hocker glitt und den Barkeeper heranwinkte. Er sprang sofort eifrig auf mich zu. Ich musste dazu noch nicht mal an seinen Gedanken herumschrauben. „Was darf ich Ihnen Gutes tun?“, fragte er mit samtig rauer Stimme, während er zweideutig grinste. Ich lächelte einfach weiter, mit unbeteiligter Miene. Wahrscheinlich gerieten andere Frauen bei seinem Auftreten und dem übercharmanten Grinsen in Verzückung. Warum auch nicht, er war ein attraktiver Kerl Anfang Dreißig. Doch ich wollte einfach nur etwas, um den Frust hinunterzuspülen. „Wodka“, erwiderte ich, „auf Eis.“ Kurz sah ich Enttäuschung in seinen Augen aufblitzen, weil ich nicht auf seine Masche ansprang, doch er flitzte sofort los, um mir meinen Drink zu holen.
Ich hatte schon ein paar Gläser geleert, als der Kellner plötzlich mit einem Glas Champagner auf mich zutrat und es vor mir abstellte. Stirnrunzelnd sah ich zu ihm auf. „Das habe ich nicht bestellt.“ Er räusperte sich leise und schielte auf die rechte Seite des Tresens. „Das ähm … ist von dem Herrn dort drüben“, erklärte er in gedämpftem Ton. Sofort wanderte mein Blick in die angedeutete Richtung und tatsächlich: Ein Mann im grauen Anzug, ich schätzte ihn auf Anfang Vierzig, lehnte an der Bar und prostete mir mit einem schmierigen Lächeln zu. Genervt rollte ich mit den Augen und wandte mich an den Barkeeper. „Danke, aber bringen Sie dem Herrn bitte seinen Champagner zurück und richten Sie ihm aus, ich bin nicht interessiert.“
Ungläubig klappte der Kellner seinen Mund auf. „S-sind Sie sicher?“ Es war ihm deutlich anzumerken, dass er sich absolut nicht wohl dabei fühlte, meinen Auftrag auszuführen. Ich nickte nur und griff wieder nach meinem Glas, während ich mit der anderen Hand mein Handy aus der kleinen schwarzen Tasche zog und meine Nachrichten kontrollierte. Während der Herr von gegenüber gerade einen wütenden Gedanken in meine Richtung schickte, stellte ich enttäuscht fest, dass Val sich noch nicht gemeldet hatte. Doch als ich weiter scrollte, zog mein Magen sich schmerzhaft zusammen. Julian hatte mir eine Nachricht hinterlassen. Mit zitternden Fingern presste ich mir das Handy ans Ohr und hörte die Mailbox ab. Seine Stimme war erbost und doch voll Sorge, sodass ich mich dazu entschloss, ihn kurz anzurufen.
Ich gab dem Barkeeper ein kurzes Zeichen, dass ich gleich wieder kommen würde und verließ die Bar in Richtung der Toiletten. Im Laufen wählte ich bereits Julians Nummer und stieß die Tür zur Damentoilette auf.
„Was hast du mir zu sagen, Tamara?!“ Es hatte gerade angeklingelt, da schallte schon seine Stimme durch den Hörer. Ich presste meine Lippen zusammen und atmete aus. „Ich hoffe, du hast Olivia nicht den Kopf abgerissen?“, fragte ich bemüht ironisch. Julian knirschte unwillig mit den Zähnen. „Natürlich nicht. Aber kannst du mir bitte erklären, was das alles soll?!“ Er blieb erstaunlich ruhig und so fasste ich den Mut, ihm von meinem Plan zu erzählen.
„Du bist verrückt … dein Plan ist verrückt - das ist dir doch hoffentlich bewusst, oder?“, schnaubte er. Ich konnte ihm sein Unverständnis nicht verübeln. „Aber es ist unsere einzige Chance und … ich will nicht wieder Angst haben müssen, dass dir etwas passiert“, erklärte ich ihm mein Handeln. Ich hörte ein erneutes Schnauben. „Und was glaubst du, wie es mir gerade geht?“
„Mach dir keine Sorgen, hier ist jemand, der mir hilft“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen. Zum Glück wusste er nicht, dass diese Unterstützung von einem Streber kam, der sein Wissen über Magie wahrscheinlich aus Büchern und dem Internet bezog und in Sachen Vampire noch grün hinter den Ohren war. „Bitte Tamara – sag mir doch wo du bist, damit ich dir helfen kann“, beschwor Julian mich weiter.
„Tut mir leid – du weißt, ich liebe dich mehr, als mein Leben und das ist auch der Grund, warum ich es dir nicht sagen kann“ Mit diesen Worten legte ich einfach auf, weil ich wusste, dass wir uns gerade in eine Sackgasse redeten. Nach einem kurzen Blick in den Spiegel, der über dem Waschbecken hing, zog ich meinen Lippenstift nach und schob mein Handy zurück in die Tasche.
Als ich aus dem Damenklo trat, hielt ich kurz inne. Mir war, als würde ich beobachtet werden.
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