Ruf der Geister (German Edition)
auf einen heißen Kakao einladen und wir reden ein bisschen.“
„Geredet hab ich genug!“, erwiderte sie patzig.
Die Dunkelhaarige lief mit einem Stirnrunzeln auf sie zu. „Sophie, alles in Ordnung?“
„Jaah, ist schon gut!“ Sie wandte sich wieder Joshua zu. „Was bist du? Ein Bulle oder einer der bekloppten Sozialarbeiter?“
Trotz ihrer harschen Worte konnte sich Joshua ein Grinsen nicht verkneifen. „Letzteres. Und ich kann dir sagen, ich gehöre zu den wirklich Bekloppten.“
Sophie starrte ihn an, doch sein Kommentar ließ ein Lächeln über ihr Gesicht huschen. „Na, das erklär mir mal.“
„Wie viele Sozialarbeiter kennst du, die dich bei der Affenkälte auf dem Strich besuchen?“
„Einen?“
„Ganz genau. Was ist jetzt mit dem Kakao?“
Sie sah Joshua böse an. „Ich gehe nicht zu denen z urück!“
„Zu deinen Eltern?“
Sie nickte knapp.
„Ich dachte eher, du erzählst mir erst mal, was vorg efallen ist.“
„Hast du nicht meine scheiß Akte gelesen?“, antwortete sie herablassend.
„Hab ich. Lieber würde ich es aber von dir hören.“
Joshua registrierte, dass Sophie ungewöhnlich gut g ekleidet war für ein Mädchen, das auf der Straße lebte. Die Jacke war zwar an einigen Stellen schmutzig, aber von einer teuren Marke, und auch die hautenge Hose schien definitiv nicht vom Discounter zu sein.
Trotzdem konnte die gute Erscheinung nicht ihr Leid verbergen. Sie senkte plötzlich den Blick und ihre blo nden Strähnen verdeckten ihr Gesicht.
Sie focht einen inneren Kampf aus, Joshua sah es ihr an. „Du willst das hier doch nicht wirklich, oder?“, flü sterte er.
Als sie aufschaute, sah er, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Sophie schüttelte den Kopf.
„Komm, ich fahr dich in die Stadt und dort suchen wir uns ein Café, okay?“
„Ich gehe nicht zurück zu meinen Eltern!“, betonte sie erneut.
„Davon ist auch keine Rede. Aber ich kann dir Alternativen anbieten. Alles ist besser als das hier.“
Sophie schniefte leise und nickte schließlich.
Joshua suchte ein kleines Café aus, wo sie ungestört sein würden. Auf dem Weg dorthin sprach Sophie kein Wort. Später, als die warmen Getränke vor ihnen standen, umfassten ihre Hände die große Tasse Kakao mit Sahne und ihm schien es, als würde sie sich Halt suchend daran klammern.
„Was ist zu Hause passiert, Sophie?“
Sie schwieg beharrlich. Geduldig wartete Joshua, drängte sie nicht, sondern beobachtete die Menschen, die durch den Schnee stapften. Nach fünf Minuten hielt das Mädchen die Stille nicht mehr aus.
„Ich kann einfach nicht nach Hause.“
Joshua wandte sich ihr zu. „Warum nicht? Was ist dort passiert?“
„Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll“, murmelte sie. „Wahrscheinlich lachst du dich kaputt.“
„Warum glaubst du das?“
„Meinst du, ich rede das erste Mal mit einem wie dir? Ich habe ihr unterdrücktes Grinsen jedes Mal gesehen! Die nehmen mich doch gar nicht ernst.“
„Sophie, ich sehe, dass du leidest, also kann es nicht besonders lustig sein.“
Sophie biss auf ihrer Unterlippe herum. „Ich kann die blöde Schule nicht!“
Joshua gab ihr Zeit.
„Meine Eltern verstehen das nicht!“, fuhr sie fort. „Mich bringt das um! Ich hab doch gar kein Leben mehr. Ich lerne und lerne und lerne und schreib doch nur schlechte Noten. Ich komme um 16:30 Uhr vom Gymn asium, hab dreimal in der Woche Nachhilfe, muss zum Tanzen und jetzt soll ich auch noch Klavier spielen. Die spinnen doch total! Wenn meine Eltern abends fernsehen, dann … dann büffel ich immer noch Mathe!“ Sie schluchzte auf.
Joshua mochte sich kaum vorstellen, wie viel Druck auf dem Mädchen lastete.
„Sie sagen, ich sei psychisch instabil, schleppen mich von einem Psychologen zum anderen. Und weißt du warum? Weil ich eine vier im Diktat schreibe und auf dem blöden Klavier keine Tonleitern üben will.“ Sophie stockte, als sie in Joshuas ernstes Gesicht sah.
„Hast du deinen Eltern gesagt, dass du all das nicht willst?“
„Klar hab ich das! Tausendmal hab ich sie gebeten mich auf eine andere Schule zu schicken. Die sagen nur, dass ich dann kein Abi machen kann, als ob ich das nicht auch auf der Gesamtschule machen könnte! Aber da ich ja Ärztin werden soll … So ein Blödsinn!“
„Deine Eltern scheinen ja große Pläne mit dir zu h aben.“
„Ja, nur gefragt haben sie mich nie!“
„Gab es einen bestimmten Grund, warum du abgehauen bist?“
„Mama hat mir eine Woche Hausarrest
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