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Ruf der Geister (German Edition)

Ruf der Geister (German Edition)

Titel: Ruf der Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Bern
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fühlte er sich wie ein Verräter.
     
     

KEIN GRAB
     
    Joshua fühlte sich so müde, dass er kaum noch die Augen offenhalten konnte.
    Aus irgendeinem Grund begann Dornfeldt, ihm zu vertrauen. Er spürte das deutlich. Sein Tonfall war freundl icher und er bezog ihn mit ein. Sie saßen nun seit drei Stunden mit Erich und Lea in einem der Hauptbüros und prüften die von Joshua genannten Namen. Viele ehemalige Straßenkids besaßen zwar eine kriminelle Vergangenheit, schienen aber zu einem neuen Leben gefunden zu haben. Ein junger Mann, der ins Profil gepasst hätte, wohnte nicht mehr im Umkreis der Ermittlungen und fiel somit aus dem Raster.
    Die ruhigen Stimmen der anderen gerieten immer mehr in den Hintergrund und Joshua legte seinen Kopf auf die verschränkten Arme. Er schrak auf, als jemand ihn am Arm berührte. Es war Lea, die ihm einen Kaffee hinstel lte.
    „Danke.“
    Joshua raffte sich auf und ergriff die blauweiße Schalke-04-Tasse. Eine kleine Ecke am Rand war abgesprungen und die Farbe ausgebleicht, aber all dies machte ihm das Gefäß nur sympathischer. Er konnte mit zierlichem Porzellan nicht viel anfangen, bevorzugte definitiv einen Kaffeepott. Er nahm an, dass Robert Dornfeldt ihm da beipflichten würde.
    Er überlegte, ob er Robert noch einmal auf den Geist seiner Großmutter ansprechen sollte, ließ es aber bleiben. Die blieb glücklicherweise verschwunden und der Profiler wirkte weitaus entspannter.
    Als er in seine Tasse schaute und gedankenverloren auf das schwarze Gebräu starrte, fiel ihm siedend heiß ein, dass er für seine Kollegen die alte Kaffeemaschine mit ins Büro bringen wollte. Er versuchte, das innerlich abzuspeichern.
    „Joshua?“ Eine Hand legte sich väterlich auf seine Schulter. „Geh nach Hause. Dein Vater reißt mir sonst bei meinem nächsten Besuch den Kopf ab, wenn ich dich hier so lange aufhalte.“
    Lea lachte leise und stimmte Erich zu. „Du kannst hier ja doch nicht mehr viel tun. Und Robert hat dich zur Genüge ausgequetscht.“
    Sie warf Dornfeldt einen bösen Blick zu. Der kümmerte sich nicht um ihren Kommentar, sondern war vertieft in seine Aufzeichnungen.
    Aus Roberts Notizbuch lugte ein kleiner Zettel. Ein Baum und ein Haus waren dort mit kindlicher Malerei aufgezeichnet. Für Papa stand mit krakeliger Schrift auf der Oberseite.
    Bestimmt stellte sich Robert einen geruhsamen Sonntag auch anders vor, dachte Joshua.
    Lea führte ihn aus dem Büro.
    „Josh, es tut mir leid. Ehrlich! Aber ich muss noch hierbleiben. Robert hat da vielleicht eine Spur, die wir weiterverfolgen müssen.“
    „Und wo führt diese Spur hin?“
    „Das wissen wir noch nicht, aber es könnte sein, dass wir das Muster gefunden haben, nach dem er die Opfer aussucht.“
    Joshua rieb sich über das Gesicht. „Und worum geht es da? Ich habe in der letzten halben Stunde nicht mehr viel mitgekriegt.“
    „Das ist auch nicht schlimm“, sagte sie lächelnd. „B elaste dich nicht damit. Ich ruf dich morgen an, okay?“
    Zum Abschied hätte Joshua sie gerne geküsst, verstand aber, dass dies nicht der richtige Ort dafür war. „Dann bis morgen.“
    Er lief zurück zu dem Raum, in dem sie ihre Jacken aufgehängt hatten und verließ mit gemischten Gefühlen das Revier. Draußen fiel noch immer Schnee in dicken Flocken vom Himmel und verwandelte die Straßen in weiße unschuldige Flächen. Der Winterdienst in Gelsenkirchen griff nicht richtig, er war offensichtlich überfordert, denn selbst die Hauptstraßen waren noch nicht zufriedenstellend geräumt.
    Joshua zog sich die Mütze tief in die Stirn und stapfte zu seinem Auto. Als er auf de m kalten Sitz saß und kurz auf sein Handy schaute, kam unerwartet die Erinnerung an Lisbeth zurück. Sie hatte damals seinen seltsamen Klingelton eingestellt, weil sie Joshua ein wenig ärgern wollte. Er brachte es einfach nicht übers Herz, die Einstellung zu ändern und Eisblumes Song zu löschen.
    Lisbeth …
    Für einen Moment sah er wieder die Wildgans und Lisbeths mitfühlendes Gesicht, als sie den Vogel beobachtete.
    „Ich bin wie Lisa“, hatte sie damals gesagt. „Ein Vogel mit verkümmertem Flügel, den die Familie jedes Mal aufs Neue im Stich lässt.“ Mit einem bitteren Lachen zeigte Lisbeth auf den Erpel, der treu an der Seite der Gans blieb und ihr half zu überleben. „Und du bist wie die Ente, Joshua.“
    Ein Gefühl, das wie eine Flamme in sein Herz stieß, überwältigte ihn. Wie einen Schwelbrand hatte er die Erinnerung an Lisbeth

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