Ruf der Sehnsucht
die Möglichkeit, dass seine Tochter entführt worden war, weil er der Eigentümer von »MacRae Brothers« und ein vermögender Mann war.
Er würde seinen ganzen Reichtum hingeben, wenn er Margaret damit retten könnte.
»Irgendwann heute Nacht ist jemand in mein Haus eingedrungen und hat meine Tochter entführt«, begann er und sah, wie sich die Neugier in den Gesichtern in Zorn verwandelte. Ein Raunen ging durch die Reihen. »Ich brauche eure Hilfe, um sie zu finden.«
Margaret war allgemein beliebt hier. Bei dem alljährlichen Familienfest des Unternehmens spielte sie mit den Kindern, als wäre sie eine von ihnen und nicht die Tochter des Eigentümers. Es kümmerte sie nicht, ob der Vater eines Jungen Fuhrmann oder Lagerarbeiter oder Büroangestellter war. Wenn sie jemanden nicht mochte, dann seines Charakters und nicht seines Platzes in der Gesellschaft wegen.
Obwohl er nicht ausschloss, dass der Comte du Marchand hinter der Entführung steckte, erwähnte er diese Möglichkeit seinen Leuten gegenüber nicht, denn er konnte sich auch irren.
Er kannte jeden einzelnen der Männer, hatte jeden selbst eingestellt. Er kannte ihre Familien, wusste um ihre Triumphe und Niederlagen. Alle waren brave, hart arbeitende Männer, deren Einsatz MacRae Brothers zum Erfolg verholfen hatte.
»Ich bitte Euch jetzt, vier Reihen zu bilden, damit Ihr Eure Anweisungen entgegennehmen könnt.« Er stieg von seinem improvisierten Podium herunter und bahnte sich den Weg durch die Menge, nahm die guten Wünsche seiner Leute entgegen und beantwortete ihre Fragen, so gut er konnte.
Aufgrund vorangegangener Instruktionen an Jim, hatte dieser vier Tische aufgestellt, an denen jeweils ein Büroangestellter saß, der notieren würde, welcher Mann wo eingesetzt wurde.
»Wo ist Henry?«, fragte Douglas.
»Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Vielleicht kommt er später – er ist ja ein Nachtarbeiter«, versuchte der Wachmann, Henrys Abwesenheit zu erklären.
Douglas zeichnete in groben Zügen eine Karte von Edinburgh, dessen Umriss in etwa kreisförmig war, unterteilte die Stadt in vier Sektoren und gab jeweils einen Quadranten an einen der Tische.
»Gebt mir eine Aufgabe, Sir.« Als Douglas sich umdrehte, bot sich ihm ein überraschender Anblick. Lassiter stand vor ihm, aber nicht in seiner Majordomusuniform, sondern in Hafenarbeiterkluft.
»Ich mag nicht kräftig wirken, Mr. MacRae«, sagte der Majordomus, »aber ich kann Euch versichern, dass ich ebenso leistungsfähig bin wie die Männer hier.«
»Das bezweifle ich nicht, Lassiter«, sagte Douglas, »aber habt Ihr nicht daran gedacht, dass ich Euch zu Hause brauche?«
»Dort hält Miss du Marchand die Stellung, Sir.« Der Majordomus stand stramm, als wäre er noch bei der Infanterie und warte darauf, zu einer der vielen Schlachten Englands gegen Amerika aufzubrechen.
»Nun denn«, gab Douglas nach, der wusste, dass er den Mann in seinem Stolz kränken würde, wenn er ihn jetzt heimschickte, und teilte ihn für den südlichen Quadranten ein. »Das ist eine üble Gegend«, warnte er, »aber ich bin sicher, Ihr werdet Euren Mann stehen.«
»Das werde ich, Sir.«
»Wir müssen sie finden, Lassiter.«
Lassiter nickte. »Ich werde mein Bestes tun, Sir.«
Der düstere Himmel spiegelte Douglas’ Stimmung. Vor ihm lag der Firth of Forth, hinter der Mündung die Nordsee und die weite Welt, aufregend und herausfordernd. Aber seit er Margaret bei sich hatte, wurde sein Leben von ihr bestimmt.
Er stieg auf sein Pferd und kehrte nach Edinburgh zurück, begann seine Suche in der Queen Street und ritt die Gegend in immer größeren Kreisen ab. Stundenlang befragte er Passanten, ob sie seine Tochter gesehen hatten, bekam jedoch nur abschlägige Antworten und fand auch keinen Hinweis darauf, wohin sie verschleppt worden sein könnte.
Jeannes Verzweiflung über Margarets Verschwinden war echt. Immer wieder musste er an ihre Worte über ihren Vater denken.
Was glaubst du, wer gehofft hatte, dass das Kind tot zur Welt käme oder nach dem ersten Atemzug stürbe? Was glaubst du, wer Justine befahl, es zu ermorden?
Jahrelang hatte er mit Hass und Wut an Jeanne gedacht, aber auch voller Sehnsucht und Verzweiflung. Nun, seit er wusste, was sich tatsächlich zugetragen hatte, war er von der Vergangenheit erlöst und sah die Chance für eine glückliche Zukunft. Jetzt musste er nur noch die Gegenwart in Ordnung bringen.
Jeanne ging in ihr Zimmer. Der Krug war inzwischen mit heißem
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