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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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brauchte nicht zu fragen, welche Geschichte sie hören wollte – inmitten all der mütterlichen Zuneigung musste sie das Fehlen ihrer eigenen Mutter besonders schmerzlich empfinden. Einige ihrer Cousins und Cousinen schauten interessiert herüber, und Douglas wurde klar, dass heute nicht nur seine Tochter der Geschichte lauschen würde.
    »Bitte, Papa.« Sie legte sich auf den Rücken, und Douglas deckte sie zu.
    »Früher lebte ich in Paris«, begann er.
    »Als du auf die Universität gingst«, unterbrach sie ihn.
    Er lächelte in sich hinein und nickte. »Ja, als ich auf die Universität ging.« Er erzählte diese Geschichte nun schon, seit Margaret klein war. Damals hatte er nicht damit gerechnet, Jeanne du Marchand jemals wiederzusehen. Jetzt wünschte er, er hätte seinerzeit ein wenig mehr gedichtet, anstatt sich so eng an die Wahrheit zu halten.
    »Du studiertest Philosophie«, sagte sie.
    »Wer erzählt eigentlich die Geschichte?«, neckte er sie.
    Sie lächelte ihn an und presste dann zum Zeichen, dass sie schweigen würde, die Lippen aufeinander.
    »Ich studierte also Philosophie«, fuhr er fort. In seiner damaligen Weltsicht gab es nur Schwarz und Weiß, keinerlei Grautöne. Und wie einfach ihm das Leben erschien! Wenn er etwas haben wollte, nahm er es sich. Er hatte noch nie versagt, noch nie auf etwas verzichten müssen, noch nie Schmerz verspürt. Später konnte er rückblickend kaum fassen, wie naiv und beeindruckbar er gewesen war.
    »Und eines Tages sahst du sie«, holte Margaret ihn aus seinen Gedanken.
    Als er nickte, faltete sie die Hände auf der Decke und schaute ihn so ungeduldig an, dass er lächeln musste.
    »Ich sah sie mit ihrer Zofe zu ihrer Kutsche gehen.« Das Bild war so lebendig, als wäre es erst gestern gewesen. »Sie war das schönste Geschöpf, das ich je gesehen hatte.« Jeanne hatte über eine Äußerung ihrer Zofe gelacht, aus vollem Hals, nicht affektiert, wie es am Hof üblich war, oder verschämt hinter vorgehaltener Hand, wie es die Engländerinnen taten, als müssten sie schadhafte oder schiefe Zähne verbergen. Ihre Unbekümmertheit hatte ihn bezaubert, so sehr, dass er lächelnd stehen geblieben war.
    Margaret strahlte die gleiche Fröhlichkeit aus.
    Er schaute auf seine Tochter hinunter. »Sie lächelte mich an«, erzählte er weiter.
    »Und du folgtest ihr nach Hause.«
    »Ja«, bestätigte er, »ich folgte ihr nach Hause.« Wo er herausfand, dass sie die Tochter des Comte du Marchand war und so gut bewacht, dass er fürchtete, sie nie wiederzusehen. »Jeden Tag ging ich hin und wartete darauf, dass sie herauskäme«, fuhr er fort und wurde sich unversehens seines Publikums bewusst. Er hob den Blick. Iseabal lauschte gespannt, und da wurde ihm klar, dass sie die Geschichte wahrscheinlich zum ersten Mal hörte.
    »Das Grundstück war von einer Mauer umgeben. Eines Tages kletterte ich hinauf und überlegte gerade, was ich als Nächstes tun sollte, als ich
sie
sah. Sie schlenderte mit einem Buch in der Hand durch den Garten.«
    Er war von der Mauer gesprungen und zu Jeanne gegangen. Als sie hinter sich Schritte hörte, hatte sie sich umgedreht und war so erschrocken, sich einem Fremden gegenüberzusehen, dass sie ihr Buch fallen ließ.
    »Ich hob es auf und reichte es ihr.«
    »Und da hast du dich in sie verliebt.« Margaret lächelte zufrieden.
    »Ja«, sagte er. »So war es.« Die Liebe war auf eine Weise über ihn gekommen, wie es ihm nie zuvor widerfahren war und wahrscheinlich nie mehr widerfahren würde – aus heiterem Himmel und überwältigend. Er hatte nicht erwartet, dass ihn ein Paar nebelfarbene Augen und ein lächelnder Mund verzaubern würden. Er stellte sich vor, wie es wäre, ihr seidiges Haar zu berühren, ihre Locken sich um seine Finger ringeln zu lassen. Er stellte sich vor, das Mädchen an sich zu ziehen und die verführerischen Lippen zu küssen.
    Jeanne fragte ihn, ob er in räuberischer Absicht über die Mauer gestiegen sei.
    In stark englisch gefärbtem Französisch antwortete er: »Nein, als Bewunderer.«
    »Wovon?«, wechselte sie zu seiner Überraschung ins Englische.
    »Von Euch.« Als sie ob seiner Dreistigkeit die Stirn runzelte, versuchte er es zu erklären: »Verzeiht – aber Ihr seid so wunderschön.«
    Sie lachte melodisch, zog ihn damit noch mehr in ihren Bann. »Ihr solltet nicht hier sein«, sagte sie gleich darauf tadelnd, lächelte dabei jedoch.
    »Ich bin nicht aus freien Stücken hier«, verteidigte er sich. »Ihr habt meine

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