Ruf der Sehnsucht
Brüder gewesen – abgesehen davon, dass ihm, da sie bei seiner Geburt schon beinahe erwachsen waren, nie die Kameradschaft vergönnt gewesen war, die sie miteinander verband. Aber dafür genoss er etwas, was
ihnen
nicht vergönnt war – die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern.
Während seine Brüder über die Meere fuhren oder Schiffe bauten, durfte er eine Jugend erleben, die sich aufs Angenehmste von der ihren unterschied. Die Schotten, die vor nahezu fünfzig Jahren aus Gilmuir geflohen waren, hatten es anfangs sehr schwer gehabt in der neuen Heimat, doch Douglas hatte es an nichts gefehlt.
Seine Brüder waren entweder von den Eltern oder dem Jesuitenpater unterrichtet worden, der damals unter den schottischen Flüchtlingen gewesen war. Douglas jedoch wollte nach Europa und an der Sorbonne studieren und bekam seinen Willen.
Der Verlust der Eltern hatte die fünf Brüder einander noch nähergebracht. Im Lauf der vergangenen sieben Jahre hatte Douglas sie achten gelernt und betrachtete sie inzwischen als seine besten Freunde.
Trotzdem beabsichtigte er nicht, einem von ihnen von Jeanne zu erzählen, denn er war sicher, dass keiner verstehen würde, was er empfand. Er verstand es ja selbst nicht.
Der Geräuschpegel stieg. Douglas war aufgestanden und hatte sich durch das Gewühl gekämpft. Jetzt lehnte er an der Wand und beobachtete die Tanzenden, kam sich bei diesem familiärsten aller Feste seltsamerweise wie ein Zuschauer vor und nicht wie ein Beteiligter. Alisdairs Frau winkte ihm zu, und er rang sich Iseabal zuliebe ein Lächeln ab.
Als er auf der anderen Seite des Saales seinen Bruder Hamish entdeckte, machte er sich auf den Weg zu ihm, grüßte dabei die Leute, die nach ihm riefen. Drei Jahre lang waren Hamish und er miteinander zur See gefahren, und Douglas hatte unter der Anleitung seines Bruders viel über die Aufgaben eines Kapitäns gelernt. Sein älterer Bruder hatte ihn auch eine Menge über das Leben gelehrt, in erster Linie in Form von Anschauungsunterricht. Hamish hatte ihn an Bord genommen, als Douglas siebzehn war und liebeskrank und wütend auf die ganze Welt. Obwohl Hamish frisch verheiratet war und zweifellos lieber mit seiner jungen Ehefrau allein gewesen wäre, hatte er ihm Geduld und Verständnis geschenkt und ihn mit so viel Arbeit eingedeckt, dass Douglas abends erschöpft in seine Koje fiel. Hamish hatte zugehört, Ratschläge gegeben und Douglas vorbehaltlos unterstützt, als dieser beschloss, nach Frankreich zurückzukehren und sein Kind zu suchen.
»Ist Mary bereit, um Besuch zu empfangen?«, fragte Douglas.
»Sie hat heute Nachmittag alle Mann an Bord zum Deckschrubben verdonnert«, antwortete Hamish lächelnd.
Es war Tradition, dass alle Brüder mit ihren Ehefrauen auf Hamishs Schiff zusammenkamen. Die Kinder wurden zu Bett gebracht, und dann fuhren ihre Eltern in den Firth hinaus. An diesem gemeinsamen Abend im engsten Kreis wurde in Erinnerungen geschwelgt. Es gab viel Gelächter, aber auch ernste Momente.
Douglas entschuldigte sich bei seinem Bruder und stieg die Treppe zur Galerie hinauf. Als er Margaret entdeckte, setzte er sich neben ihren Strohsack auf den Boden.
»Hättest du es in deinem Zimmer nicht bequemer?«, fragte er. Jedes der Kinder hatte sein eigenes Zimmer in einem der Flügel, um die Alisdair das ursprüngliche Castle erweitert hatte. Wenn Brendas Brut allerdings noch umfangreicher würde, wäre ein weiterer Anbau vonnöten.
»Bequemer vielleicht schon«, erwiderte sie, »aber ich will trotzdem hierbleiben.« Sie zog Douglas am Ärmel zu sich herunter und flüsterte ihm ins Ohr: »Robbie hat versprochen, mir nachher die Geschichte vom heiligen Ionis zu erzählen.«
»Das ist eine wundervolle Geschichte«, sagte Douglas, der sich genau daran erinnerte. Es hieß, das Priorat wäre auf geheiligtem Boden erbaut worden, einem ehemaligen Wallfahrtsort.
Er ließ seinen Blick wandern. Die versammelten Kinder waren unverkennbar verwandt. Fast alle hatten schwarzes Haar und die meisten die blauen MacRae-Augen. Zwar waren reichlich Kissen und Decken vorhanden, doch er bezweifelte trotzdem stark, dass in dieser Nacht hier oben viel geschlafen würde.
Iseabal tippte Robbie, ihrem Jüngsten, im Zuge einer sicherlich notwendigen Ermahnung gerade auf die Nase. Riona, die neben ihren beiden Kindern saß, lächelte Douglas zu, und er erwiderte ihr Lächeln.
Margaret, die seinem Blick gefolgt war, wurde ernst. »Erzählst du mir eine Geschichte, Papa?«
Er
Weitere Kostenlose Bücher