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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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war.
     
    »Die Natur, in vieler Hinsicht eher Stiefmutter als Mutter, hat die Saat des Bösen in die Herzen der Sterblichen gesenkt, besonders der denkenden, was sie mit ihrem eigenen Los unzufrieden macht und neidisch auf das eines anderen.«
     
    Es überraschte Jeanne, wie genau diese Textstelle ihre eigenen Gefühle spiegelte.
    »Glaubt Ihr, dass das wahr ist, Miss du Marchand?« Margaret legte den Finger in das Buch und klappte es zu. »Ich kann mir nicht vorstellen, das Leben von jemand anderem führen zu wollen.«
    »Dann kannst du dich als gesegnet betrachten.«
    Margaret dachte darüber nach. Schließlich nickte sie. »Papa sagt, das Leben kann ein Segen oder ein Fluch sein, und es kommt auf den einzelnen Menschen an, welches von beidem daraus wird.«
    War Douglas die Quelle aller Weisheit? Margaret schien davon überzeugt zu sein.
    »Manchmal geschehen aber Dinge, auf die man keinen Einfluss hat«, konterte Jeanne.
    »Papa sagt, es ist nicht entscheidend, was einem zustößt, sondern, wie man darauf reagiert.« Margarets Augenausdruck war viel zu erwachsen für Jeannes Geschmack.
    »Dem kann ich nicht ganz zustimmen«, erwiderte Jeanne, wohl wissend, dass sie sich damit auf gefährliches Terrain wagte. Margaret vergötterte ihren Vater.
    Aber Douglas war kein Gott, und Jeanne hatte nicht die Absicht, ihn wie einen zu behandeln. »Nimm zum Beispiel den Tod eines geliebten Menschen. Meine Mutter starb, als ich etwa in deinem Alter war, und ich hatte absolut keinen Einfluss darauf. Und auch nicht auf meine Reaktion. Ich war einfach unsagbar traurig und fühlte mich einsam und verlassen.«
    Das Mädchen nickte stumm.
    »Manches im Leben muss man einfach ertragen, Margaret. Und das Einzige, was einem dabei hilft, ist Vertrauen.«
    »Auf Gott?«
    »Zu sich selbst.«
    Wieder dachte Margaret eine Weile nach. Dann fragte sie: »Denkt Ihr oft an Eure Mutter?«
    Jeanne zögerte. Schließlich antwortete sie aufrichtig: »Sehr oft. Besonders, wenn ich einen Rat brauche. Dann frage ich mich, was sie wohl in dieser Situation tun würde. Manchmal ist es, als hörte ich ihre Stimme.«
    Margaret nickte. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute zu den ausladenden Ästen hinauf. »Ich habe das Gefühl, dass meine Mutter ganz in meiner Nähe ist.« Sie warf Jeanne einen Blick zu.
    »Ist es eine Sünde, so etwas zu glauben?«
    »Ich denke nicht. Hast du schon deinen Vater gefragt?«
    Margaret schüttelte den Kopf. »Er sagt, es macht ihm nichts aus, über sie zu sprechen, aber ich merke ihm jedes Mal an, dass er traurig wird.«
    Sie sollte nicht fragen, aber sie hätte vieles nicht tun sollen, was Douglas MacRae anging. »Erinnerst du dich an sie?«
    Wieder schüttelte Margaret den Kopf. »Nein. Sie ist bei meiner Geburt gestorben. Es ist ein schreckliches Gefühl, am Tod der eigenen Mutter schuld zu sein.«
    Jeanne beugte sich erschrocken zu ihr hinüber und legte die Hand an die Wange des Kindes. »Du bist nicht schuld daran, Margaret! Es ist einfach passiert.«
    »Genau das sagt Papa auch immer, Miss du Marchand. Immer wenn er mir erzählt, wie sie sich kennengelernt haben, denke ich, dass er sie noch immer liebt. Seine Stimme wird dann ganz weich und leise.«
    Jeanne schichtete die Reste des Mittagessens in den Korb und versuchte, den Schmerz zu ignorieren, den die Worte des Kindes in ihr hervorriefen. Eine innere Stimme beschwor sie, nicht fortzufahren, aber sie hörte nicht darauf.
    »Wie sah sie aus?«
    »Wie eine Prinzessin, sagt Papa. Sie war Französin. Wie Ihr, Miss du Marchand.«
    Das hatte sie nun von ihrer Neugier.
    Die Frau lebte offensichtlich in Douglas’ Herzen weiter. Erwähnte er sie deshalb stets nur am Rande? Rein rechnerisch hatte er, wenn man Margarets Alter zugrunde legte, damals sehr schnell eine neue Liebe gefunden. Das wäre die Erklärung dafür, dass er sie, Jeanne, im Stich gelassen hatte. Wie hatte sie nur glauben können, dass er sie ewig lieben würde?
    Jetzt hatte sie einen Grund, ihn zu hassen, sich die Liebe aus dem Herzen zu reißen, die mit jedem Tag stärker wurde. Schrecklicherweise schien ihre Erkenntnis überhaupt keine Rolle zu spielen.
    »Manchmal«, Margaret lehnte sich an den Stamm der Eiche, »möchte ich so gerne mit ihr sprechen. Ich möchte sie fragen, ob sie mich genauso vermisst, wie ich sie vermisse. Glaubt Ihr, ein Engel erinnert sich, wie er als lebendiger Mensch gefühlt hat?«
    Jeanne sah den Schmerz in den Augen des Kindes und erinnerte sich an ihren eigenen. Sie

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