Ruf der Sehnsucht
Und bei keiner anderen Frau erinnert mich die Röte ihrer Wangen an eine Rose bei Sonnenaufgang.«
Er zeichnete mit der Fingerspitze ihre Oberlippe und dann die Unterlippe nach, als wollte er sich ihren Schwung einprägen. »Deine Lippen sind zum Küssen geschaffen. Jedes Mal, wenn du sprichst, muss ich mich zwingen, mich auf die Worte zu konzentrieren anstatt auf die Bewegungen deines Mundes.«
Er beugte sich zu ihr herunter, und sagte dicht an ihren Lippen: »Es ist, als bätest du mit jeder davon um einen Kuss.«
Als er ihrer stummen Aufforderung nachkam, schlang Jeanne die Arme um seinen Hals und verlor sich für eine Weile in dem Kuss. Dann löste sie sich von Douglas und ging zum Fenster. Wusste er, dass sie ihm mit Haut und Haar verfallen war? Wenn er sie jetzt mit dem Zeigefinger zu sich winkte und aufforderte, sich für ihn auf den Teppich zu legen, würde sie es mit Freuden tun und ihn ungeduldig erwarten.
»Ich habe ein Geschenk für dich.« Seine Stimme hüllte sie ein wie eine weiche Decke.
Überrascht sah Jeanne sich um. »Ein Geschenk?«
Er ging zu dem Bücherschrank hinter dem Schreibtisch, öffnete eine der unteren Türen und holte etwas heraus. Als er zurückkam, reichte er ihr eine flache Schachtel.
Jeanne legte sie auf den Schreibtisch und öffnete behutsam die lavendelfarbene Schleife, wobei sie zwischendurch immer wieder zu Douglas schaute. Dann nahm sie den Deckel ab. Vor ihr lag ein Nachthemd aus zartem Leinen mit einem Kragen und Ärmeln aus kostbarer Spitze.
Nicht einmal in Paris hatte sie je etwas so Schönes gesehen.
»Deines habe ich ja zerrissen«, sagte er leise. Die Erinnerung daran ließ sie erschaudern.
»Vermisst du mich, Jeanne?«
O ja.
»Ich hatte dir versprochen, nicht zu dir zu kommen, bis du mich darum bittest, aber du hast mich nie darum gebeten. Warum?«
Sie hörte ihn lächeln und blickte zu ihm auf.
»Ich dachte, unser Zusammensein wäre ein Genuss für dich«, neckte er sie.
Ich würde meine Seele dafür verkaufen, dachte sie, aber natürlich sprach sie es nicht aus.
»Warum bist du noch hier?«
Die Frage verblüffte sie. »Warum ich noch hier bin?«
Er nickte.
Diesmal war sie nicht so klug, zu schweigen oder zu lügen. »Weil die Monate in Paris die schönsten meines Lebens waren«, gestand sie ihm. Aber das größte Geheimnis behielt sie doch für sich.
Weil ich dich liebe und immer lieben werde.
In den vergangenen neun Jahren hatte sie begriffen, dass der Körper keine Bedeutung hatte. Die Misshandlungen im Kloster hatten ihr nicht wirklich etwas anhaben können. Aber dieser Mann mit seinem halben Lächeln und seinen dunkelblauen Augen besaß die Macht, sie tief zu verletzen, sie zu vernichten, selbst wenn er es gar nicht beabsichtigte.
Jeanne hatte seine Macht über sie an dem Tag erkannt, als sie Paris verlassen musste und Douglas nicht erschienen war. Sie hatte zum Himmel hinaufgeschaut, wo Wolkenstreifen in zartem Gelb, Blau und Rot den Sonnenaufgang ankündigten. Der Dunst von der Seine war aufgestiegen und hatte den Fuß des Montmartre eingehüllt. Die Kirche St. Pierre de Montmartre schien ihr abschiednehmend nachzublicken.
Er kam nicht nach Vallans, und er holte sie nicht aus dem Kloster. Sie verdankte ihre Freiheit dem Umbruch in Frankreich.
Warum hatte Douglas sie im Stich gelassen?
Sorgfältig vermeidend, ihn anzusehen, nahm sie die Schachtel und trat vom Schreibtisch zurück.
»Denkst du wenigstens nach über die Brille?« Es hatte sachlich klingen sollen, aber ihre Stimme zitterte. Jeanne zwang sich, ihm ins Gesicht zu blicken. Er musterte sie nachdenklich. »Margaret liest so gerne«, fuhr sie fort. »Es ist eine Schande, dass der Stolz ihres Vaters es ihr derart erschwert.«
Er durchquerte den Raum, blieb an der Tür jedoch stehen und drehte sich Jeanne zu.
»Natürlich bekommt sie die Brille. Sie ist meine Tochter. Aber Margaret sieht sogar ohne Brille besser als ihre Mutter.« Damit ließ er sie allein.
Kapitel 24
M argaret streckte den Kopf zur Schulzimmertür herein. »Die Köchin packt uns etwas ein, wenn Ihr gern draußen essen möchtet, Miss du Marchand.«
Jeanne blickte von ihrer Schiefertafel auf. »Draußen?«
Margaret lief zu dem auf das naturbelassene Gelände hinausgehenden Fenster und deutete auf die Eiche in der Mitte der Wiese. »Das ist ein wunderbarer Platz zum Essen.« Sie drehte sich zu Jeanne um. »Und wir müssen doch essen, oder?«
Ihr Lächeln war ebenso unwiderstehlich wie das ihres Vaters. »Ja,
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