Ruf der Vergangenheit
Gebiete ausbreiteten.
„Vielleicht ist das schon längst geschehen – vielleicht sind Ursache und Wirkung schon in einem Kreislauf gefangen.“ Kaleb berührte mit seinem Geist einen Teil des vollkommen dunklen Flecks.
Nikita hielt sich zurück. „Du könntest dich mit etwas infizieren.“
„Keinesfalls“, murmelte er abwesend. „Ich bin geschützt.“
Er war mehr als das. Konnte es sein, dass Kaleb eine gewisse Affinität zu dem sich ausbreitenden „Tod“ hatte? „Wo ist es noch so?“ Der Bereich war nicht besonders groß und scharf abgegrenzt – als wollte die Krankheit sich verbergen. In jedem anderen Zusammenhang hätte Nikita eine solche Personifizierung absurd gefunden, aber das Medialnet hatte schon durch die Existenz des Netkopfes bewiesen, dass es ein lebender Organismus war.
„Hier ist es am schlimmsten“, antwortete Kaleb und zog sich von dem Fleck zurück. „Als würden sämtliche toten Fäden zusammenlaufen, sich an diesem Ort sammeln.“
„Dann wird er sich also weiter ausbreiten.“
„Es sei denn, wir fänden eine Möglichkeit, die dunklen Fäden wirkungslos werden zu lassen.“
Ein Warnsignal in ihrem Kopf flammte auf. „Warum zeigst du es nur mir und nicht auch den anderen Ratsmitgliedern?“ Sie waren zwar so etwas wie Verbündete, aber seine Aussage hatte noch eine andere Botschaft enthalten.
„Ich dachte, das sei offensichtlich“, sagte er. „Deine Tochter ist doch eine Empathin.“
„Ich verstehe.“ Und so war es auch. Als das Medialnet zuletzt Tendenzen zur Selbstzerstörung gezeigt hatte, war der Grund die systematische Auslöschung von E-Medialen gewesen. Aber jetzt war die Lage eine vollkommen andere. „Im Netz gibt es eine Menge E-Mediale.“ Der Tötungsbefehl für E-Embryonen war ausgesetzt worden, nachdem der Rat festgestellt hatte, dass ihre bloße Anwesenheit im Medialnet – selbst wenn man ihre empathischen Fähigkeiten rücksichtslos beschnitt – dazu diente, die mentalen Brüche einzudämmen. „Das hier ist etwas ganz anderes.“ Das Problem war nur, dass sie keine Ahnung hatte, was es war.
14
Es war dunkel. Schrecklich dunkel. Dunkler als die schwärzeste Nacht, als die Mitternachtssonne. Nein, das ergab keinen Sinn. So etwas wie eine Mitternachtssonne gab es nicht. Oder doch … in Alaska gab es dieses Phänomen. Aber das hieß, es wurde den ganzen Tag nicht dunkel. Hier gab es kein Tageslicht, keinen Sonnenstrahl, keine Hoffnung.
Sie versuchte Finger und Zehen zu bewegen, konnte sie aber nicht spüren. Als hätte die Dunkelheit sie verschluckt. Sie wollte schreien, nur um ein Geräusch zu hören, wenn sie schon weder sehen noch fühlen konnte, aber sie blieb stumm, verschloss den Schrei hinter den Mauern in ihrem Kopf. Alles andere hatte die Bestie ihr genommen.
Sie würde ihm nicht auch noch ihre Schreie geben.
Aber Minuten, Stunden, Tage später verlor sie auch diesen Kampf, und ihre Wut machte sich in einem lauten Schrei Luft.
Doch … sie vernahm nur die Stille. Die Dunkelheit hatte auch ihren Schrei verschluckt.
Da begriff sie.
Sie war tot.
Hitze.
Berührung.
Leben, elektrisierend und wild … ein Kuss, der ihre Beteiligung forderte.
Zitternd gab sie sich hin, ging unter in seinem Duft.
Wild und exotisch. Dunkel und männlich.
Der Mann, der sie angefaucht hatte, eingesperrt hatte … ihr Nahrung gegeben hatte.
„Dev.“ An seinen Lippen, sie wollte den Kontakt nicht abbrechen.
Er küsste sie noch einmal, bevor sie noch etwas sagen konnte. Sie spürte seine Zähne an ihrer Unterlippe. Zuckte zusammen und krallte die Fingernägel in feste Schultern. Noch nie hatte sie nur annähernd etwas Ähnliches erlebt. Er war so warm, dass sie sich am liebsten in ihm verkrochen hätte. Ihre Fingerspitzen brannten, und sie war voll Verlangen nach ihm, wollte nackt auf das Laken gedrückt werden, wollte von ihm ganz bedeckt sein.
Sie schnappte nach Luft, suchte seinen Blick und fragte sich gleichzeitig, ob er wohl die Begierde in ihren Augen sah.
„Wieder da?“ In scharfem Ton, seine Augen glänzten wie im Fieber.
Mit jedem Atemzug pressten sich ihre Brüste gegen seinen Brustkorb, so erregt, dass es fast wehtat. „Wo war ich denn?“
„Du hast dir die Lunge aus dem Hals geschrien.“ Er hielt sie weiter fest in den Armen, sie würde sich nie von selbst lösen können. „Bist einfach nicht aufgewacht, egal was ich gemacht habe.“
„Deshalb hast du mich geküsst.“ Sie musste zugeben, dass es eine durchaus geeignete Lösung
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