Ruf der Vergangenheit
Kaffee bestellen?“ Das Angebot kam von einem Mann Mitte zwanzig, der rechts neben ihr stand.
„Ein Orangensaft wäre mir lieber“, sagte sie, er schien „in Ordnung“ zu sein. Auf ihren Instinkt war hoffentlich Verlass.
Er lächelte, um seine Augen tanzten Lachfältchen. „Dann gib ihr ’nen Saft. Nimm’s mir nicht übel, Mädchen, aber du könntest ein wenig zulegen.“
Sofort hatte sie Bilder von Dev im Kopf, der ihr Smoothies machte und Granola-Riegel in die Taschen steckte. „Ich geb mir Mühe. Vielen Dank.“ Sie nahm den Saft und trank einen Schluck. „Sie fahren nicht zufällig nach Norden?“
Der Trucker sah sie enttäuscht an. „Nein, nach Süden, so’n Pech aber auch. Jessie!“
Eine Frau mit einem langen blonden Pferdeschwanz sah am anderen Ende des Tresens auf. Ihr Gesicht war voller Sommersprossen. „Was ist los?“
„Fährst du nach Norden?“
„Könnte sein.“ Die Frau sah Katya an. „Willst du mit?“
„Wenn ich darf.“
Jessie zuckte die Achseln und stand auf. „Ich muss los. Kannst mir Gesellschaft leisten.“
Katya dankte dem Mann für den Saft und folgte Jessie. Die Truckerin sagte kein Wort, bis sie im Führerhaus des silbernen Laster saßen, dessen Armaturenbrett eher an das Cockpit eines Flugzeugs erinnerte.
„Nicht besonders klug, da reinzuschneien“, sagte Jessie, als sie auf dem Highway waren. „Die meisten Jungs sind in Ordnung. Aber es gibt schon ein paar, die für das Mitnehmen von Frauen eine Gegenleistung erwarten.“
„Ist mir klar“, sagte Katya ganz ehrlich. Denn trotz des frischen, unverbrauchten Gesichts schien Jessie jemand zu sein, die Lügen zehn Meilen gegen den Wind roch. „Aber ich wollte den Überwachungskameras der Reisebüros entgehen.“
Nachdem sie den Laster auf den Leitstrahl gefahren hatte, stellte Jessie die automatische Steuerung ein. Das Lenkrad fuhr ein und der Computer beschleunigte auf eine Geschwindigkeit, die niemand mehr per Hand hätte beherrschen können. „Läufst du vor jemandem davon?“ Ein besorgter Blick. „Hat er dich schlecht behandelt, Schätzchen?“
Er hielt sie in den Armen. Wünschte ihr mit einem Kuss schöne Träume. „Nein. Aber ich muss etwas erledigen.“ Einem ihrer Dämonen ins Gesicht sehen.
„Geht in Ordnung.“ Jessie schob ihren Sitz zurück und legte die Füße aufs Armaturenbrett. „Magst du Jazz?“
„Ich werde –“ Dev biss sich auf die Zunge und starrte die grinsende Tiara an. „Du hast sie einfach gehen lassen?“
„He, sie hat mich schließlich betäubt“, sagte sie gekränkt. „Und ich habe auch den Wagen bei diesem Diner aufgespürt, obwohl sie das unverschämte Glück hatte, ausgerechnet die Karre mit dem defekten Ortungssystem zu erwischen.“
Messer bohrten sich in Devs Magen, als er daran dachte, mit wem Katya wohl weitergefahren war, was ihr passiert sein konnte. „Hat Lucas schon zurückgerufen?“ Das Alphatier der Leoparden hatte mit den Leuten sprechen wollen, denen das Lokal gehörte, nachdem Dev bei seinen Nachforschungen nur auf eisiges Schweigen gestoßen war.
In diesem Augenblick klingelte Devs Handy. Er klappte es auf und sah sich die Nummer an. „Haben Sie was, Lucas?“
„Sie sitzt in einem Laster Richtung Norden“, berichtete der Leopard. „Jessie Amsel fährt ihn.“
„Eine Frau.“
„Ja.“
Doch das musste nicht heißen, dass Katya außer Gefahr war. „Ich habe Kontakte zur Trucker-Gewerkschaft“, sagte Dev. „Werde mir dort die genaue Route besorgen.“
„Sie sind vor etwa vier Stunden losgefahren.“
„Dann sollte ich mich beeilen.“ Er legte auf, rief seinen Kontaktmann an und hielt fünf Minuten später eine Kopie der Route in den Händen. Er kniff die Augen zusammen und gab eine weitere Nummer ins Handy ein. „Michel? Kann ich dich um einen Gefallen bitten?“
„Dafür schuldest du mir was, Cousin.“ Er konnte beinahe hören, wie Michels Mundwinkel nach oben zuckten. „Worum geht’s?“
Dev erklärte es ihm. „Kannst du das für mich tun?“
„Es verstößt gegen die Regeln, aber ich nehme mal an, du wirst meinen Arsch schon retten, falls man mich einlocht.“
„Vielen Dank.“
„Heb dir das für später auf. Selbst wenn sie den Laster nicht wechselt, wird es schwer. Der Verkehrsfunk meldet keinerlei Staus oder Störungen bis zur Grenze. Falls ich sie nicht zu fassen bekomme, bevor sie in Kanada ist, sind mir die Hände gebunden.“
Nachrichtenprotokoll Erde 2:
Station Sunshine
18. August 2080: Offizielle
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