Ruf der verlorenen Seelen
Kino ankamen, hatte Violet regelrecht gute Laune.
Sie konnte Jay schon wieder damit aufziehen, dass er so einen Wirbel um den richtigen Parkplatz für sein Auto veranstaltete,
und Appetit hatte sie auch wieder ⦠jedenfalls auf Popcorn und
Lakritz. Am Kiosk bewaffnete sie sich mit beidem.
In dem schummrigen Gang zum Vorführsaal zögerte Violet.
»Hier.« Sie reichte Jay den Becher mit Popcorn. »Kannst
du mir meine Eintrittskarte geben? Dann treffen wir uns drinnen,
ich muss noch zur Toilette.«
Es hatte keinen Sinn, Chelsea zu fragen, ob sie mitkam. Niemals
wäre sie auch nur eine Minute von Mikes Seite gewichen.
Jay gab Violet ihre Karte und sie verschwand schnell.
Im Toilettenraum war sie ganz allein. Sie fühlte sich dort unbehaglich
und wie immer fragte sie sich, ob jemand sie über
die dröhnenden Bässe der Kinos hinweg hören würde, falls sie
schreien musste. Eines Tages würde sie es ausprobieren, nur
damit sie es wusste.
Nein, werde ich nicht, sagte sie sich. Ich bin so ein Angsthase.
Sie versuchte, nicht daran zu denken, was sie zum Schreien
bringen könnte. Sie ging zur Toilette, wusch sich die Hände
und lief schnell wieder hinaus in den Flur. Und da stieà sie beinahe
mit jemandem zusammen.
Sie erschrak. Dann erkannte sie ihn und in dem Moment
hätte sie wirklich fast geschrien.
»Was machst du hier?« Violet schaute den Jungen wütend an
und reckte das Kinn. »Verfolgst du mich oder was? Jetzt sag
nicht, es ist Zufall, dass wir beide hier sind. Ich hab dich schon
im Java Hut gesehen.«
Er zuckte die Schultern, die Hände hatte er in den Taschen
seiner abgerissenen Jeans vergraben. »Ich bin hier, um dir etwas
von Sara Priest auszurichten.«
Violet blinzelte. »Also hat sie dich geschickt?« Violet stellte
sich breitschultrig hin. Er sollte nicht merken, wie sehr der
Name Sara Priest sie beeindruckte.
Er schüttelte den Kopf, die schwarzen Haare fielen ihm über
die Augen.
»Nicht direkt. Aber ich hab gehofft, dass du vielleicht eher
redest, wenn ich komme und nicht sie. Du musst endlich mal
zurückrufen.«
Violets Wut verrauchte. Seit Tagen schon ignorierte sie die
Nachrichten von Sara Priest, in denen es jedes Mal hieÃ, dass
es dringend sei.
»Sag ihr einfach, ich will nicht mit ihr sprechen.«
Sie versuchte sich an ihm vorbeizuschieben, doch er fasste sie
am Ãrmel und hielt sie auf. Sie hätte den Arm wegreiÃen müssen,
stattdessen lieà sie sich von ihm zum Ausgang am Ende des
Flurs ziehen. Dort war es dunkel, sie waren unter sich.
Er funkelte sie an, aber seine Stimme war ruhig. »Mensch,
Violet, das ist eine ernste Sache.« Als er ihren Namen sagte,
stockte sie, und auf einmal hörte sie ihm zu. »Du kannst es
nicht einfach ignorieren und hoffen, dass es aufhört. Sara muss
einen Fall lösen und sie nimmt ihre Arbeit sehr ernst. Und ob
es dir passt oder nicht, du bist darin verwickelt.«
»Ich könnte ihr nichts erzählen, was sie nicht ohnehin schon
weië, log Violet und ging einen Schritt zurück. Es gab so vieles,
was Sara nicht über sie wusste und was Violet ihr auf keinen
Fall erzählen wollte.
»Aber wie die Dinge liegen, hast du das nicht zu entscheiden.
« Sein Gesichtsausdruck wurde weicher, ein wenig nur.
»Ich verspreche dir, dass es leichter wird.« Er kam näher. »Du
musst nur lernen, jemandem zu vertrauen.«
Eine Tür ging auf, ganz leise, aber Violet schaute nicht auf.
Was wollte er ihr damit sagen? Dass er wusste, wie es war, anders
zu sein? Oder dass sie ihm vertrauen sollte?
Violet war verwirrter denn je. »Ich hab jetzt echt keine Zeit.
Ich bin mit Freunden hier.«
Der Junge runzelte die Stirn und strich sich die Haare aus
dem Gesicht, dann gab er Violet noch eine von Saras Visitenkarten.
»Ruf sie einfach an, Violet. Bitte. Wer weiÃ, wenn du Sara
hilfst, kann sie dir vielleicht auch helfen.« Dann gab er ihr noch
etwas anderes, einen Zettel mit einer Telefonnummer und
einem Namen â Rafe â mit Kuli gekritzelt. »Falls du lieber mit
mir sprechen willst«, erklärte er und schaute sie prüfend an.
»Glaub mir, ich weiÃ, wie unheimlich das sein kann.«
Violet steckte die Karte und den Zettel ein. Sie wollte nicht
darauf schauen oder darüber nachdenken, was er meinte. Vielleicht
wollte sie gar nicht wissen, ob Rafe sie wirklich verstand â
und was genau er für Sara Priest
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