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Ruf der verlorenen Seelen

Ruf der verlorenen Seelen

Titel: Ruf der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derting Kimberly
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sich, wie jemand
einem Kind so etwas antun konnte. Der Kummer stach ihr in
der Brust. Der Junge war so klein und unschuldig.
    Sie klappte die Akte zu und schlug die andere auf.
    Sie sah ein Foto von einer Frau. Sie hieß Serena Russo –
Mikes Mutter. Das Foto war nicht aktuell; selbst vor zwei Jahren
musste es schon älter gewesen sein. Als wäre es aus einem
Bilderrahmen genommen worden, der an der Wand hing. Es
war verblasst und die Kleider waren schon lange aus der Mode,
aber sie lächelte. Sie war glücklich gewesen, als das Foto gemacht
worden war.
    In der Akte gab es noch zwei weitere Fotos von Serena Russo.
Darauf sah man sie, nachdem ihr erster Mann sie misshandelt
hatte. Ihr Gesicht war verletzt, die Augen geschwollen, die Lippen
blutig. Violet konnte nicht lange hinsehen und blätterte
um.
    Als sie das Fahndungsfoto des möglichen Täters sah, stellten
sich ihr die Härchen auf. Roger Hartman. Zufällig schaute sie
auf seine Adresse und erschrak. Er lebte nur etwa eine Stunde
von ihrem Wohnort entfernt.
    Violet konnte verstehen, dass Sara diesen Mann verdächtigte,
für das Verschwinden der Frau verantwortlich zu sein. Sie fragte
sich, was genau die ehemalige Agentin vermutete. Dachte sie,
dass Mikes Mutter tot war? Ermordet von ihrem brutalen Exmann?
    Es kam ihr ungerecht vor, dass er weiterleben konnte, als ob
nichts wäre, während die Familie Russo auseinandergerissen
worden war.
    Plötzlich tat es Violet leid, dass sie nicht helfen konnte. Sie
hätte gern etwas getan, um die Leere zu füllen, die Mike und
seine Schwester seit dem Verschwinden der Mutter empfinden
mussten.
    Das Nichtwissen , wie Sara es genannt hatte.
    Sie klappte die Akte zu und steckte sie zusammen mit der
anderen in ihre Schultasche.
    Violet wollte gern helfen, damit Mikes Familie vielleicht mit
allem abschließen konnte.

Hass
    Sie hasste das klirrende Geräusch der Flaschen. Es war nie ein
gutes Geräusch, schon gar nicht mitten in der Nacht.
    Es war das Geräusch ihres Vaters.
    Sie war allein in ihrem dunklen Zimmer und am liebsten
hätte sie geschrien. Es fühlte sich an, als würde sie an dem
Schrei ersticken, den sie nicht herausließ.
    Sie lauschte, als seine schweren Arbeitsstiefel über den Wohnzimmerfußboden
schlurften, und fragte sich zum tausendsten
Mal, warum ihre Mutter gegangen war und nicht er. Warum
konnte nicht er an ihrer Stelle die Familie verlassen?
    Schlimmer noch als das Geräusch der Flaschen jedoch war
die Angst jeden Abend, bevor er von der Arbeit nach Hause kam.
Nie wusste sie, welcher Mann kommen würde, welcher Vater am
Ende des Tages zur Tür hereinkommen würde. Denn sie war
überzeugt, dass dieser neue Mann, der bei ihnen wohnte, nicht
derselbe war wie ihr alter Vater. Ihr richtiger Vater war fort, zusammen mit der Mutter verschwunden, und der neue Mann
glich dem alten nur äußerlich.
    Sie hatte gelernt, dass es manche Monster nicht nur in der
Fantasie gab.
    Und doch hoffte sie jedes Mal einen flüchtigen Moment lang,
dass diesmal nicht dieser Mann kommen würde, sondern ihr
richtiger Vater. Dass er endlich nach Hause kommen würde.
    Aber das geschah nie.
    Ihr richtiger Vater war verschwunden. Und an seiner Stelle
war da jetzt dieser verschlossene, verbitterte Mann. Der kaum
je nüchtern war.
    Niemand konnte sich auch nur vorstellen, wie einsam sie sich
fühlte.
    Sie rollte sich zusammen und wartete darauf, dass die Geräusche
im Wohnzimmer verstummten. Sie hörte, wie eine weitere
Flasche geöffnet wurde. Bald würde er schlafen.
    Mit der Erleichterung kam der Hass.
    Sie hasste ihren Vater, den Mann, der aus ihm geworden war.
    Sie hasste die Frau, die sie zur Welt gebracht und dann im
Stich gelassen hatte, als sie sie am nötigsten gebraucht hätte.
    Und sie hasste alle, die das besaßen, was sie nicht hatte, das,
was sie sich mehr wünschte als alles auf der Welt. Doch am
meisten hasste sie sich selbst dafür, dass sie nicht stark genug
war, um sich zu retten. Noch nicht.
    Aber eines Tages würde sie es schaffen. Sie würde nicht für
immer hier bleiben. Diese Überzeugung gab ihr Kraft.
    Eines Tages würde sie einen Ausweg finden.

15. Kapitel

    Violet wusste nicht recht, was sie hier machte, sie wusste nur,
dass sie nicht allein mit ihren Gedanken zu Hause sein wollte.
    Seit über einer Stunde fuhr sie schon durch die Stadt, versuchte,
in der Nacht unterzutauchen, sich darin zu

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