Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
blieb erst stehen, als ich eine Felswand erreichte, die mich nicht weiterkommen ließ. Mächtig und unüberwindbar ragte sie vor mir empor. Langsam ließ ich meinen Blick an ihr hinaufgleiten. Meine Lungen schmerzten höllisch, so schnell war ich gerannt. Und irgendwie fiel mir das Atmen hier schwer. Das Fieber brannte auch in meinen Träumen noch in mir. Schweiß rann mir über Gesicht und Rücken, brannte in den Augen. Doch ich ignorierte es. Hoch über mir ragte der Felsen als Vorsprung hervor. Es wurde bitterkalt.
Hastig sammelte ich Steine auf und bildete daraus ein Pentagramm auf dem Boden. Die Spitze auf die Felswand gerichtet. Direkt an dieser Spitze entzündete ich mit Hilfe von Gras und dürren Zweigen ein kleines Feuer. Ich fand einige kalkhaltige Steine, und damit malte ich mystische Zeichen auf die Felswand die meine Flucht gestoppt hatte. Dazu das Symbol für die Göttin Hathor, eine Sonnenscheibe zwischen zwei Hörnern. Warum ich ausgerechnet diese ägyptische Göttin wählte, wusste ich nicht. Aber es erschien mir richtig. Ich warf den Kalkstein beiseite und kniete mich vor das Feuer. Das Atmen wurde immer schwerer. Ich hatte Angst vor dem Schmerz, der nun zweifellos kommen würde – Traum hin oder her. Dennoch holte ich mit meinen bloßen Fingern ein verkohltes Stück Holz aus den Flammen und zerrieb es zwischen den Händen. Ich stöhnte auf vor Schmerz und vermied es, die Blasen auf meinen Handflächen anzusehen. Auch ohne Spiegel gelang es mir, Pentagramme auf meine Stirn und meine Wangen zu malen. Dann stellte ich mich in das Zentrum meines Steinpentagramms. Osira nahm zwischen dem Feuer und der Felswand ihren Platz ein. Den Kopf mir zugewandt.
„Wölfin – mächtige Wölfin. Hekate, große Wolfmutter, schütze deine Tochter. Ich bin die Wölfin – die Wölfin bin ich“, flüsterte ich und hob Arme und Blick gen Himmel. Die Handflächen nach oben gerichtet stimmte ich ein Heulen an. Leise zuerst, doch dann immer lauter. Osira stimmte mit ein. Und plötzlich kamen von allen Seiten weitere Wölfe dazu, die in den mächtigen Gesang einfielen und so ein Gebilde aus Klang formten, dass sich in den Nachthimmel erhob, um der Kraft meiner Mutter im Kampf beizustehen. Ich war nicht allein. HERBST.
Ich brach zusammen. Fiel auf Knie und Hände. Die Brandblasen sprangen auf, aber der Schmerz war jenseits von mir. Jetzt konnte ich nur noch hoffen. Hoffen, wieder aufzuwachen.
Wer würde der Frühling sein? Es musste einen Frühling geben, damit das Ritual wirken konnte. Ohne den Frühling wäre ich verloren. Wer war mein Frühling?
Karim erschrak fürchterlich, als der dunkle Schatten durch die Tür hereinfiel. Hastig sprang er von seinem Stuhl auf. Armand gebot ihm mit einer Geste Ruhe.
„Franklin sagte mir, sie sei zusammengebrochen.“ Er sprach sehr leise. „Was ist passiert?“
Der Ägypter schluckte hart. Er hatte Angst vor ihm. Vor dem Jäger, dem Bluttrinker. Armand konnte seine Angst förmlich schmecken. Fragend blickte er den Mann an. Wartete geduldig auf eine Antwort.
„Sie … sie folgte dem Ruf ihrer Mutter in die Totenwelt. Dort erhielt sie von der Göttin etwas, woraus wir ein Elixier gegen einen schwarzmagischen Angriff bereiten sollten. Aber sie hat vergessen, es einzunehmen. Wir haben es ihr eingeflößt, doch sie hat das Bewusstsein bisher nicht wiedererlangt.“
Armand nickte. Margret Crest versuchte also ein weiteres Mal, Melissa das Leben zu nehmen. Er wusste nichts über die Totenwelt oder Melissas Göttin. Aber er vertraute darauf, dass sie gewusst hatte, was sie tat, als sie dem Ruf ihrer Mutter folgte. Er setzte sich zu ihr aufs Bett, nahm ihre klammen Hände in die seinen, drückte einen zärtlichen Kuss auf die fiebrige Stirn.
„Es ist alles gut, ma chère. Ich bin jetzt da. Ich bleibe bei dir und beschütze dich. Alles wird wieder gut.“
„Ich denke nicht, dass Franklin dulden würde, dass …“, setzte Karim an.
„Ich habe nicht die Absicht, sie trinken zu lassen, wenn es das ist, was du meinst“, antwortete Armand heftig. Karim zuckte zurück. „Ich bin hier, weil ich sie liebe. Nicht, um ihre Wehrlosigkeit auszunutzen.“
Der Vater des Kairoer Mutterhauses senkte betroffen den Blick. „Es tut mir Leid. Ich dachte nur, nach allem was Franklin mir über euch beide gesagt hat … “
Armand machte eine gleichgültige Geste. Es war nicht wichtig, was Karim dachte. Melissa musste wieder gesund werden. Nur das zählte. „Wie hoch ist ihr
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