Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
so was wird man nicht verrückt. Er führt auch noch ein anderes Leben als nur die Beziehung zu dir. Vielleicht ist er geschäftlich im Moment sehr angebunden.“
Osira hatte Recht. Armand hatte noch ein weiteres, wesentlich weltlicheres Leben. Ohne den Zauber des unsterblichen Verführers. An diesem Leben hatte ich keinen Anteil, wie mir wieder einmal bewusst wurde. Meine Wölfin rollte sich zusammen und kuschelte sich an mich.
„Schlaf jetzt“, sagte sie mit geschlossenen Augen. „Ich bin sicher, dass Armand heute noch kommt. Vielleicht wird er die Sehnsucht, die sich so lange in dir angestaut hat, nur allzu gerne gründlich stillen. Manchmal lohnt es sich, die Liebste zappeln zu lassen.“
„Es ist doch schon kurz vor der Morgendämmerung. Er wird nicht mehr kommen.“
„Die Zeit hier fließt anders als die Zeit dort draußen. Das solltest du inzwischen gelernt haben. Du bist kaum eine Viertelstunde hier, nach irdischer Zeit.“
Ich wollte noch etwas sagen, doch Osira war schon fest eingeschlafen. Oder zumindest tat sie so.
Eine federleichte Berührung auf meiner Stirn weckte mich. Als ich die Augen aufschlug, traf sich mein Blick mit dem Armands. Er hatte mich auf die Stirn geküsst.
„Du hast so friedlich ausgesehen, dass ich schon wieder gehen wollte, ohne dich zu wecken.“ Seine Finger berührten meine Wange.
„Bitte geh heute nicht gleich wieder“, flehte ich ihn mit belegter Stimme an. „Du bist kaum noch bei mir seit …“
Ich ließ den Satz unbeendet. Er verstand mich auch so. Sein Gesicht war ernst, aber entspannt, als er sich erneut über mich beugte, um mich zu küssen. Diesmal auf den Mund. Seine Lippen glitten zu meiner Kehle und ich spürte den vertrauten Schmerz, der mich aufstöhnen ließ. Hörte mein eigenes Blut durch seine Kehle rinnen. Für einen Moment überkam mich Panik, als er nicht, wie sonst, nach wenigen Schlucken aufhörte. Doch dann floss etwas Warmes, Süßes meine Kehle hinab und ein Bild verdrängte plötzlich jeden anderen Gedanken. Das Bild einer Frau. Sie war schön, wirkte aristokratisch und stammte aus einer längst vergangen Zeit. Ich erschrak heftig, als ihr Bild klar und jede Einzelheit erkennbar wurde. Sie sah mir zum Verwechseln ähnlich. Kein Zweifel, diese Frau musste Madeleine sein.
„Oui, c’est bon. Trink! Nur noch etwas mehr. Ja, jetzt bist du wieder bei dir.“ Ich schlug die Augen auf und sah in sein sorgenvollen Gesicht. „Mon Dieu, ich hatte schon gefürchtet, zu viel getrunken zu haben. Ist alles in Ordnung?“ Ich schmeckte noch sein Blut auf meinen Lippen. Fühlte, wie es durch meine Adern strömte – heiß und verzehrend. Aber ich war weder tot noch Vampir. „Das war leichtsinnig von mir, ma chère. Je te demande pardon.“ Ich wusste, er meinte es ernst. „Ich wollte nur, dass du verstehst, warum du mir so viel bedeutest. Dass du dich nie sorgen musst, du könntest mich verlieren.“
„Es war Madeleine, nicht wahr?“ Meine Stimme hörte sich seltsam fremd und rau an.
„Ich habe mir nie verziehen, dass ich sie zurückgelassen habe. Und du bist ihr so ähnlich, dass es mir jedes Mal weh tut, wenn ich dich ansehe. Ich will dich nicht auch zurücklassen, Mel.“
Er sagte dies mit solcher Inbrunst, dass ich Angst vor ihm hatte. Aber dennoch, ich konnte nicht von ihm lassen. Ich wollte ihm gar nicht erst widerstehen. Vertrauen, oder doch eher Leichtsinn? Was spielte das überhaupt für eine Rolle?
„Komm mit mir!“ Sein Atem streifte erneut meinen Hals, als er dicht an meinem Ohr sprach. Ein wohliger Schauer jagte über meinen Rücken. „Begleite mich heute Nacht.“ Ich schloss leise seufzend die Augen, nickte stumm zum Zeichen meines Einverständnisses. Er wollte auf die Jagd gehen, das war mir bewusst. Und er wollte, dass ich dabei war. Armand nahm mich zärtlich, aber fest in die Arme. „Gut festhalten, mon cœur“, flüsterte er mir ins Ohr, und schon schwebten wir aus dem Fenster und ich fand mich über den Dächern von London wieder. Instinktiv klammerte ich mich an ihm fest, was ihn zum Lachen brachte. „Keine Angst, ich lass dich schon nicht fallen“, versuchte er mich zu beruhigen. Doch das Gefühl, keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben, war alles andere als beruhigend. Ich riskierte einen kurzen Blick nach unten und musste feststellen, dass wir höher waren, als ich befürchtet hatte. Ich wollte ihn schon bitten, mich wieder auf der Erde abzusetzen, als ich Osiras sanfte Stimme hörte:
„Vertrau ihm,
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