Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Warum war Armand nicht hier? Er war es nicht, dessen Gesellschaft ich spürte. Ich kannte seine Ausstrahlung. Dieses sanfte Vibrieren, wenn er in meiner Nähe war. Aber nichts davon war jetzt zu spüren.
„Geh weg!“, sagte ich schwach und erschrak selbst über den Klang meiner Stimme.
Statt einer Antwort berührte mich eine gepflegte Hand in zärtlichem Trost.
„Armes Kind! Du weißt ja gar nicht, welches Geschenk ich euch beiden damit mache.“ Ich wollte mich aufbäumen, ihn anschreien, ihn schlagen, aber ich war so unfähig, mich zu bewegen wie noch nie zuvor in meinem Leben. Lemain senkte den Kopf und sein geruchloser, vampirischer Atem streifte meine Wange, als er in mein Ohr flüsterte: „Mein Blut fließt jetzt in dir, und es ist sehr stark. Er wird es immer spüren, wenn er zu dir kommt. Und so wird er an mich denken. Er wird mich nicht wieder vergessen, wie einst.“
„Warum tust du mir das an?“
„Aber nicht doch. Um dich geht es dabei nicht. Nur um Armand. Und das weiß er auch.“ In der darauffolgenden Stille hoffte ich, Lemain wäre gegangen, doch als ich es mit Mühe endlich schaffte, meine Augen zu öffnen, saß er in einem Sessel am Fußende meines Bettes und beobachtete mich. „Wenn ich gewollt hätte, wärest du bereits jetzt eine von uns“, bemerkte er ohne das geringste Anzeichen einer Gefühlsregung in seinem makellosen Gesicht. Nur dieses seltsame Lächeln. Und das sagte nichts.
„Versuch bloß nicht, mir weiszumachen, es wäre dir nicht gleichgültig gewesen, ob ich sterbe, lebe oder unsterblich werde. Es war dir scheißegal.“
„Oh bitte!“ Er verdrehte die Augen. „Nicht diese vulgäre Ausdrucksweise. Und es war mir durchaus nicht egal. Ich tue nie etwas ohne eine feste Absicht.“
„C’est vrai, ca, Lemain! Das hast du wirklich noch nie!“
Ich hatte Armand nicht kommen hören und zuckte zusammen, als seine Stimme vom Fenster erklang. Mich wunderte, dass auch Lemain ihn nicht bemerkt hatte. Seine Überraschung zeigte sich nur ganz kurz, in einem Anspannen der Muskeln. Im nächsten Augenblick lächelte er Armand mit der Überlegenheit eines Siegers an.
„Guten Abend, Armand. Du bist spät. Vernachlässigst du deine Herzdame immer so sträflich? Dann ist es ja kein Wunder, dass das Täubchen in fremde Arme flattert.“
„Tais-toi! Halte deinen verdammten Mund, Lemain!“
Lemain zog eine Braue hoch, nickte dann bedächtig. „Ich verstehe. Du stillst zuerst deinen Hunger. Es wäre ja auch ein Jammer, wenn deine Angebetete zu deinem Abendessen würde.“ Er lachte über seinen eigenen Scherz. Armand und mir war nicht zum Lachen zumute. Zwischen den beiden Vampiren lag eine Spannung wie in einem glühenden Pulverfass. Es konnte jeden Moment hochgehen. Vater und Sohn, dachte ich mit gemischten Gefühlen. Konnte etwas so abgrundtief Böses wie Lemain wirklich etwas so Sanftes wie Armand hervorbringen? „Täusche dich nicht, Melissa! Armand ist alles andere als sanft. Er ist, wie ich, der Tod, under kann grausamer sein, als du jemals ahnen würdest. Nur zeigt er dir diese Seite nie. Schließlich will er dich verführen. Ich habe ihm auch nicht meine dunkelste Seite gezeigt, als ich ihn haben wollte.“
„Lass sie in Ruhe. Du hast ihr bereits genug angetan. Das reicht!“
„Oho! Willst du mich etwa daran hindern, mein Sohn? Ich habe es euch beiden doch nur ein bisschen leichter gemacht, zueinander zu finden.“ Lemain erhob sich langsam und tat ein paar Schritte auf Armand zu. Der bewegte sich nicht einen Millimeter. „Ich hätte sie zu einem Vampir machen sollen, Armand. Sie ist stark. Ich kann gut verstehen, dass du sie willst. Und so schön. Soll ich sie dir diesmal schenken? Wie du es dir damals ersehnt hättest? Mein Blut pulsiert bereits durch ihre Adern. So wenig würde schon genügen, und sie wäre eine von uns. Und wenn ich es tue, dann wird nichts mehr zwischen euch beiden stehen.“
Lemains Stimme klang so einschmeichelnd wie in jener Nacht im Château. Es war diese Stimme, die mich willenlos gemacht hatte. Ebenso wie Armand vor vielen Jahren. Man hörte die mühsam unterdrückte Wut in seinen Worten, als er seinem Dunklen Vater antwortete.
„Es wird allein ihre Entscheidung sein, wann und wer.“
„Pah!“ Nicht minder wütend fuhr Lemain herum, wobei sein schwarzes Cape Armand streifte, wie eine liebevoll streichelnde Hand. „Mach dir doch nichts vor. Du willst sie, und dein Verlangen wirst du nicht ewig im Zaum halten können. Du bist nicht
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