Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
gewann.
„Nun, das kommt sehr plötzlich, Mel,“ begann Franklin. „Aber vielleicht ist die Idee gar nicht so verkehrt. Eine Luftveränderung täte dir gut. Wird Armand dich begleiten?“
„Ich weiß es nicht, ich habe noch nicht mit ihm gesprochen. Vielleicht wäre es gut, wenn er sich allein seiner Vergangenheit stellt, bevor ich mich da einmische. Möglicherweise sollten wir uns für eine Weile trennen. Auch deshalb habe ich über Kairo nachgedacht. Andererseits fehlt er mir schon bei dem bloßen Gedanken daran, ohne ihn zu fahren.“
„Ich kann deine Kairo-Reise in einer Woche arrangieren. Wird dir diese Zeit genügen, um dir Klarheit zu verschaffen, ob du Armand bei dir haben willst oder nicht?“
„Ich denke schon.“
Es fiel mir nicht leicht, mich zu entscheiden, ob ich Armand in meiner Nähe haben wollte oder nicht, wenn ich nach Kairo ging. Noch schwerer fiel es mir, meinen Konflikt vor ihm zu verbergen, als er mich am Abend besuchte. Er sagte zunächst nichts, doch er beobachtete mich. Das machte mich nervös. Schließlich hielt ich den Druck nicht mehr aus.
„Dann frag mich doch endlich!“, platzte ich heraus.
„Was soll ich dich fragen?“, gab er ruhig zurück.
„Was mit mir los ist. Warum ich so unruhig bin. Welche Gedanken sich in meinem Kopf jagen. Du spürst, dass etwas nicht in Ordnung ist. Du beobachtest es, aber du sagst nichts.“
„Ich weiß sehr gut, was mit dir los ist. Auch ich spüre, dass er uns nicht eine Sekunde allein lässt. Und das macht dir schwer zu schaffen, nicht wahr?“
Mir traten die Tränen in die Augen. Er verstand mich so gut. Und ich wollte ihn allein lassen mit diesem Dämon.
„Ich halte das einfach nicht mehr aus. Ich muss ständig daran denken, was in Frankreich passiert ist. Und an die Bilder von euch beiden, die er mich hat sehen lassen. Ich kann damit einfach nicht umgehen.“ Er nahm mich in die Arme und versuchte mich zu trösten. Aber er konnte mir keine Sicherheit geben. Lemain war zu allgegenwärtig. Er war stärker als Armand. „Du musst dich dem stellen. Und ich kann dir dabei nicht helfen, Armand. Es ist deine Vergangenheit.“
Er machte mir keine Vorwürfe, versuchte nicht, mich umzustimmen. Er nickte, doch der Schmerz in seinen Augen zerriss mich innerlich. „Ich habe damit gerechnet, dass du dich so entscheiden würdest.“
„Glaub mir, ich habe darüber nachgedacht, dass wir beide fliehen.“
„Das hätte keinen Sinn. Er würde uns überall finden. Er hätte mich auch damals gefunden, wenn mich nicht ein sehr mächtiger Freund vor ihm verborgen hätte. Es ist sinnlos, vor ihm wegzulaufen.“ Er seufzte und machte eine lange Pause. „Du hast Recht, Melissa. Ich muss mich ihm stellen, ein für allemal. Sonst werde ich nie Ruhe finden. Aber es ist nicht deine Angelegenheit. Du bist unschuldig und schon viel zu sehr da mit hineingezogen worden. Je suis désolé.“
Er wandte sich zum Gehen, doch ich hielt ihn fest. „Bitte, Armand. Ich will dich nicht verlieren.“
Traurig lächelnd sah er mich an und streichelte mir über die Wange. „Du wirst mich nie verlieren, mon cœur. Aber er hat schon Recht mit dem, was er sagt. Du wirst mir auch nie entkommen können.“
Ich streckte die Hand nach ihm aus und ließ sie mutlos wieder sinken. „Ich werde eine Weile nicht hier sein.“ Er antwortete nicht. Also holte ich tief Luft und fuhr fort. Er hatte ein Recht darauf, zu wissen, wohin ich ging. Oder besser gesagt, ich hatte kein Recht, einfach fortzulaufen, ihn im Stich zu lassen und ihm nicht mal zu sagen, wo er mich finden konnte. „Ich habe Franklin gebeten, eine Weile ins Mutterhaus nach Kairo gehen zu dürfen. Um Abstand zu bekommen. Ende der Woche werde ich aufbrechen. Ich hatte überlegt, ob es mir lieber ist, allein zu sein, oder ob ich dich bitten soll, mit mir zu kommen.“
„Und?“ Die Frage war rhetorisch, weil er die Antwort bereits kannte. Und sie hinnahm.
„Ich brauche von allem Abstand, Armand.“
„Je comprends. Ich verstehe.“
Jetzt erst wagte ich es, ihm in die Augen zu sehen. „Wenn du mir folgen willst, dann tu es. Ich würde dir nicht sagen, wohin ich gehe, wenn ich dich nicht in meiner Nähe haben wollte.“
„Es ist aber besser, wenn du allein gehst.“ Er küsste mich und drückte mich dann fest an sich. „Du wirst mir fehlen. Am liebsten würde ich dich gar nicht gehen lassen.“
Ich barg mein Gesicht an seinem Hals. Er war so warm. Verlockend, sich in dieser Wärme noch einmal zu verlieren.
Weitere Kostenlose Bücher