Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
hat auf den Karten nach möglichen Quellorten gesucht?“
„Kluges Kind. Du bist ja heute ein richtiger Schnellmerker.“
Ich nahm kommentarlos die Karten entgegen und breitete sie auf dem Bett aus. Osira durchstöberte indessen weiter den Karton.
„Hier haben wir eine Karte von Mexiko, eine von Alaska, das hier ist die von Peru. Da hat er die Stelle auch eingekreist. Aber auf den anderen Karten ist nichts. Vielleicht hat er selbst noch nicht alle Rätsel gelöst.“
„Hat er sicher nicht.“
„Warum sicher?“
„Weil wir es dann schon hinter uns hätten. Oder glaubst er, er würde das Spiel aus Spaß in die Länge ziehen?“
Ja, genau das glaubte ich. Es war ein Spiel für ihn. Ein Spiel mit mir, ein Spiel mit dem Schicksal der Welt. Alles andere hätte ihm keinen Spaß gemacht.
„Ich hab noch was gefunden“, nuschelte sie und sprang mit einem Schlüssel im Maul aufs Bett. Er gehörte zu einem Schließfach. Nr. 1375 im Grand Central in der 42 Street in Manhattan. Entschlossen steckte ich die Karten und den Schlüssel ein.
„Dann auf zum Bahnhof, Osira.“
Im Gran Central Terminal herrschte wie gewohnt reges Treiben, obwohl die großen Bahnlinien hier längst nicht mehr fuhren. Die Mehrzahl der Besucher waren Touristen, die Erinnerungsfotos von dieser Sehenswürdigkeit mit nach Hause nehmen wollten. Die meisten kamen um diese Uhrzeit allerdings her, um in den Restaurants essen zu gehen oder die langen Öffnungszeiten der Shops in der Einkaufspassage zu nutzen. Es wimmelte wie in einem Ameisenhaufen, Leute strebten den Rolltreppen zur unteren Ebene zu, wo sich die Shops, Cafés und Restaurants befanden, Fahrgäste lösten Tickets, warteten an einem der vielen Bahnsteige auf ihren Zug oder stiegen in einen ein. Ich war vorher noch nie hier gewesen. Beeindruckt betrachtete ich die dunkelblaue Sternenhimmeldecke, die sich mehrere Stockwerke hoch über mir wölbte. Nicht der echte Sternenhimmel, sondern ein gemalter. Dabei stieß ich versehentlich mit einer Gruppe Touristen zusammen, die es mir zum Glück nicht übel nahm. Wirklich schade, dass dieser Bahnhof nur noch für den Nah- und Regionalverkehr genutzt wurde, dabei hatte er ein ganz zauberhaftes Flair. Ich schlängelte mich zwischen den Leuten hindurch zu den Schließfächern. Das mit der 1375 auf der Tür war nicht sehr groß. Es lag nur ein Umschlag darin. Mit meinem Namen drauf. Dieser Teufel. Ein weiterer Beweis, dass er spielte und mich unbedingt in diese Schachpartie einbinden wollte. Ich riss das Kuvert auf.
Hallo Babe
,
hast du Sehnsucht nach mir? Wie ich sehe hast du dich in meiner Wohnung ganz wie zuhause gefühlt und ein bisschen meine Sachen durchschnüffelt. Wie unartig. Aber ich steh auf unartige Mädchen. Hey, wenn du so scharf auf ein Wiedersehen bist, dann komm doch einfach übers Wochenende nach Hawaii. Wir können in der Sonne liegen und Cocktails schlürfen. Ist doch jetzt alles kein Problem mehr. Und die Unterwasserhöhlen auf der Insel... Himmlisch! Wie gemacht für einen Engel. Denkst du nicht?
Dracon
Ich wusste nicht, ob ich lachen, heulen oder vor Wut laut schreien sollte. Die Dreistigkeit, mit der er hier zu Werke ging, war unfassbar. Ein Wochenende auf Hawaii. Und wo war er bis dahin? Wir hatten Mittwoch. Was war mit heute? Donnerstag? Freitag? Er konnte überall auf der Welt sein. Ich tippte Franklins Nummer in mein Handy und erreichte nur die Mailbox. Ich versuchte es bei Armand, mit dem gleichen Ergebnis.
„Es könnte eine Falle sein. Um dich abzulenken“, sinnierte Osira.
„Denkst du, das weiß ich nicht? Vermutlich fahre ich nach Hawaii und inzwischen weint der Alaska-Engel blutige Tränen. Verflucht sei der Tag, an dem Lucien diesem Bastard das Leben rettete.“
Die Chance, dass Dracon tatsächlich auf Hawaii war, tendierte von unwahrscheinlich bis null. Warum sollte er es mir so einfach machen? Andererseits hatte sogar Lucien bestätigt, dass Dracon etwas für mich empfand. Auch wenn ich darauf lieber verzichtet hätte. Er wollte, dass ich seinen Triumph miterlebte und entsprechend würdigte. Warum sonst hatte er mich so lange verfolgt, bei dem Engel auf mich gewartet und jetzt diese Spur für mich gelegt? Seufzend und mit einer gehörigen Portion Widerwillen gestand ich mir ein, dass die Spur vermutlich keine Finte war, sondern der nächste Engel tatsächlich irgendwo auf Hawaii zu finden war.
Ich verließ die Bahnhofshalle mit dem Ziel, noch einmal Dracons Appartement auf den Kopf zu stellen, ob sich
Weitere Kostenlose Bücher