Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
unterm Strich stand ich schlicht und ergreifend allein da. Die einzig noch verbleibende Möglichkeit wäre eine Unterstützung durch die Ashera gewesen und das war das Letzte, was wir alle wollten. Ich dachte an das Magister. Hier lag wohl Franklins Grund, den Orden außen vor zu lassen. Mein Fehler hätte die schlimmsten Konsequenzen nach sich ziehen können. Immerhin war es ein privates Unterfangen. Wäre die Sache aufgeflogen, hätte es neben mir auch Franklin und Eberhard Glöckner ans Messer geliefert. Besser, wenn man keine schlafenden Hunde weckte, indem man noch mehr Leute über das Serum und die derzeitigen Konsequenzen in Kenntnis setzte. Also zog ich es vor, die Suppe allein auszulöffeln, die ich mir eingebrockt hatte.
Da ich zunächst ein paar Anhaltspunkte brauchte, um überhaupt wieder eine Spur von meiner Beute zu bekommen, solange Franklin und Armand noch im Dunkeln tappten, machte ich mich in New York auf die Suche nach seinem Unterschlupf. Vorher stärkte ich mich noch an einem Obdachlosen, der sich mit ein paar Pappkartons ein Schutzzelt gegen die Kälte gebaut hatte. Der Mann war schmutzig und stank nach Alkohol und Zigaretten. Einfältig genug, vertraute er meinem freundlichen Lächeln und dem Scheppern von Münzen in seiner Blechdose. Aber er hatte nichts Böses in seinem Leben getan. Nur eine Menge Pech gehabt. Ichtrank nur so viel, wie ich musste. Dann schickte ich ihn in den Nebelschlaf, warf noch ein paar weitere Münzen in seine Dose und gab mal wieder einer menschlichen Eingebung nach, für die Lucien mich vermutlich gescholten hätte. Auf einem Balkongeländer hoch über uns hing eine zerschlissene, graue Decke. Ich vergewisserte mich, noch immer unbeobachtet zu sein, erhob mich dann in die Lüfte und holte sie, um sie fürsorglich über den alten Mann zu breiten. Den Becher mit den Münzen schob ich in seine Hand, damit ihn nicht einer seiner Kumpels stahl, während er noch vor sich hin dämmerte.
Nun wurde es aber Zeit, Dracons Versteck aufzuspüren. Seine Aura war mir seit der Engelhöhle vertraut genug, um sie in dem bunten Gewirr der New Yorker City zu erspüren und zu verfolgen. Nach einigen Stunden der geistigen Suche hatte ich eine starke Konzentration seiner Persönlichkeit in einem Hochhaus in Manhattan entdeckt. Nicht stark genug, um davon auszugehen, dass er dort war, aber zumindest hatte er sich vor kurzem für längere Zeit dort aufgehalten. Ich staunte nicht schlecht, als ich schließlich eine moderne und äußerst komfortable Eigentumswohnung im vierzehnten Stockwerk eines Luxusappartmenthauses betrat, die auf den Namen Drake Brown eingetragen war. Ich hatte ein mulmiges Gefühl beim Betreten der Wohnung. Immer wieder vergewisserte ich mich, dass seine Präsenz wirklich zu schwach war, um in Fleisch und Blut anwesend zu sein. Doch aus jeder dunklen Ecke des Raumes schienen mich seine braunen Augen zu beobachten. Vielleicht hatte er ja Kameras installiert. Eine hohe Glasfront, die man bei Tag mit schwarzen, absolut lichtdichten Jalousien verschließen konnte, bot einen traumhaften Blick auf die Manhattan- Skyline und die Brooklyn-Bridge. Er hatte Stil, das musste man ihm lassen. Es gab keinen Sarg, aber in Anbetracht der besonderen Fensterausstattung konnte man wohl davon ausgehen, dass er wie ein Sterblicher in seinem Bett schlief. Alle Möbel waren sündhaft teure Designerstücke. Nirgends hatte er an Luxus und moderner Ausstattung gespart. Er verstand es zu leben.
Zu meiner Überraschung war er vor kurzem noch einmal hier gewesen. Auf dem Bett lagen die Sachen, die er in der Eishöhle Perus getragen hatte. Ich stöberte in seinem Schreibtisch, den Regalen, dem Kleiderschrank nach irgendetwas Brauchbarem. Das Schwierige bei der Sache war, dass ich nicht wusste, wonach ich überhaupt suchte. Sein PC war passwortgeschützt, nach mehrmaligen Fehlversuchen gab ich es schließlich auf. Vielleicht hätte ich doch Armand mitnehmen sollen, der sein Talent als Hacker schon oft unter Beweis gestellt hatte.
„Hier, das könnte doch was sein“, kam Osiras gedämpfte Stimme aus einem halboffenen Karton, den sie mit den Zähnen unterm Bett hervor zog.
„Was ist das?“
Meine Wölfin schubste den Deckel herunter. „Landkarten!“ Sie grinste verschlagen. Fragend hob ich die Augenbrauen. „Landkarten, Schätzchen. Was denkst du wohl, was er mit Landkarten vor hat? Bestimmt nicht das Wohnambiente verschönern.“
Jetzt verstand ich, worauf sie hinaus wollte. „Du meinst, er
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