Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
Sie weichen nicht von ihrer Seite und töten jeden, der es wagt, sie zu bedrohen. Und jetzt verneig dich endlich vor ihr, Melissa.“
Dass er Melissa sagte, statt des gewohnten
‚thalabi’
machte mir die Brisanz der Situation bewusst. Ich gehorchte und verneigte mich tief vor unserer Urmutter. Sie war die Frau, die ich in der Vision gesehen hatte, nachdem Tizian mich von seinem Blut kosten ließ. Sie hatte schwarzes Haar bis zu ihren Hüften und türkisblaue Augen, kälter als das Eis, das uns umgab.
„Melissa“, sprach sie mich an. Eine glockenhelle sanfte Stimme, doch zugleich so kraftvoll, dass die Eiskristalle an der Decke der Höhle zu klirren begannen. „Komm her zu mir.“
Als ich nicht sofort gehorchte, trat eines dieser Wesen mit erhobenem Speer vor, aber Kaliste hielt ihn mit einer Geste zurück.
„Mein Kind, es gibt nichts, wovor du dich fürchten müsstest. Komm!“
Sie streckte ihre Hand in einer einladenden Geste vor und lächelte. Aber das Lächeln war kalt, leer, es erreichte ihre Augen nicht. Zögernd trat ich vor, kniete nieder und küsste ihre Fingerspitzen. Ein Schauer durchlief mich, so eisig war ihre Haut. Als sie mein Kinn umfasste, glaubte ich zu verbrennen vor Kälte. Ich stellte mir vor, wie ihre Finger blaue Spuren auf meiner Haut hinterließen. An ihr war nichts Menschliches mehr. Sie war ganz und gar Eis. Hart, kalt, tödlich. Ihr Blick bohrte sich in meine Augen. Ihre Iris schien immer größer zu werden, während ich sie gebannt anschauen musste. Was sie sah, was sie überhaupt suchte, blieb mir verborgen. Schließlich gab sie mich wieder frei. Ich zog mich schnell an Luciens Seite zurück, um ihrer Aura zu entfliehen.
„Ich weiß, warum die Lords gekommen sind. Und ich gewähre beiden das Gespräch mit ihrer Brut.“
Lucien trat einen Schritt vor. Sofort reagierten die Wächter, indem sie die Speere kreuzten, damit er sich Kaliste nicht weiter nähern konnte. Leonardo zuckte ob dieser Geste zusammen. Ich hingegen beschränkte mich darauf, skeptisch drein zu schauen. Was hätten wir auch sonst tun sollen?
„Verzeih, meine Königin. Doch ich verzichte auf diesen Anspruch. Stattdessen bitte ich darum, dass Melissa noch einmal mit ihrer Tochter sprechen darf, ehe das Gericht beginnt.“
Kaliste nickte. „So sei es denn.“
Mit einem Wink ihrer linken Hand, an der ein riesiger Sternsaphir ein ganzes Himmelszelt widerspiegelte, waren wir entlassen. Noch im Hinausgehen starrte ich wie hypnotisiert auf den Ring. Lucien musste mich förmlich mit sich ziehen, er knurrte dabei etwas, das sich nach ‚lass dich nicht einfangen’ anhörte. Irgendetwas hatte es mit diesem Ring auf sich, das spürte ich genau.
Einer der Ghanagouls begleitete uns. Er brachte uns in ein Labyrinth aus Eisgängen, ähnlich dem aus Felsen unter Luciens Burg. Vor zwei niedrigen Öffnungen, die beide von einem ebensolchen Wesen bewacht wurden, blieb unser Führer stehen. Er deutete auf die linke der beiden. Der Gang war dunkel, nicht zu sagen, was an seinem Ende lag.
„Deine Tochter ist in einer Kammer am Ende des Tunnels“, erklärte Lucien. „Geh,
thalabi
. Sprich mit ihr, ehe das Gericht zusammentritt. Versuche, sie zur Vernunft zu bringen. Sie zu überreden, demütig zu sein. Dann wird man ihr vielleicht noch einmal vergeben. Leonardo und ich warten in der großen Halle auf dich. Findest du den Weg allein zurück?“
Ich nickte. Da ich an das Gewirr unter Luciens Burg gewöhnt war, hatte ich auch hier keine Mühe, mir den Weg einzuprägen.
Der Gang war so niedrig, dass ich an einigen Stellen auf die Knie musste. Aber an seinem Ende fand ich schließlich Ivanka. Mit Elektrum-Ketten war sie an die Wand ihres eisigen Gefängnisses gebunden. Elektrum – das einzige Metall, das in der Lage war, einen Vampir zu binden. Unwillkürlich fragte ich mich, ob Tante Lilly damals auch mit solche Ketten gelegt worden war? Doch woher hätte Margret Crest diese haben sollen?
Meine Tochter sah verängstigt aus. Sie kauerte in einer Ecke der leeren Zelle. Ihr Blick schien durch mich hindurch zu gehen, als ich mich näherte.
„Ivanka.“
Im ersten Moment glaubte ich, sie würde nicht auf mich reagieren, doch dann sprang sie mit solcher Heftigkeit auf und schlang ihre Arme um mich, dass ich zurücktaumelte. Die bannende Energie ihrer Fesseln strömte auch in meinen Körper, doch ich widerstand dem Impuls, mich davon zu befreien. Stattdessen streichelte ich ihr beruhigend über den Rücken, flüsterte ihr zu,
Weitere Kostenlose Bücher