Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
mit kantigen Zügen, hohen Wangenknochen und kurzgeschnittenem Haar. Lucien liebte es nun mal, sich mit Schönheit zu umgeben, an der er sich erfreuen konnte – auf die ein oder andere Weise. Andy flog den Helikopter, David kümmerte sich ums Anwesen und steuerte die große Limousine mit den schwarz getönten Scheiben, in der sich Lucien manchmal sogar bei helllichtem Tag durch die Straßen Miamis fahren ließ. Etwas, das ich fürs Erste nicht fertig brachte, denn die Kraft der Sonne forderte bei mir noch ihren Tribut, machte mich müde und benommen, wenn ich mich nicht gänzlich vor ihren Strahlen verbarg. Dabei genügte ein fensterloser Raum, oder eine unterirdische Höhle. Ein Vampir von seinem Alter und seiner Macht hatte solche Dinge längst überwunden. Sein Handicap beschränkte sich darauf, dass er sich nicht direkt ihren Strahlen aussetzen konnte. Manchmal fragte ich mich, ob er mir nicht auch aus diesem Grund ein Zimmer zugewiesen hatte, das mir zwar Schutz bot, mich aber dennoch nicht gänzlich vom Einfluss des Sonnenlichtes befreite. Einfach um des kleinen Vorteils willen, den er mir gegenüber dadurch besaß.
„Wo ist der Lord?“, fragte ich.
„Auf den Burgzinnen, Mylady. Wollt Ihr mit dem Dinner auf ihn warten?“
Ich nickte wortlos, bevor ich den Raum verließ. Auf den Burgzinnen. Es konnte nur einen Grund geben, warum er dort war. In einem anderen Leben, so schien es mir, hatten Armand und Athair, ein vampirischer Magier, der gelegentlich für den Orden arbeitete, einmal in meinem Beisein davon gesprochen. Der Lord wachte. Und das tat er wirklich.
Auch heute fand ich Lucien still und wie erstarrt dort draußen stehen. Die Augen geschlossen, das Gesicht zum Himmel gewandt. Er lauschte. Lauschte auf die Stimmen all derer, die von seinem Blut waren. Er wachte. Er wusste. Und manchmal lenkte er auch.
Obwohl ich inzwischen daran gewöhnt war, dass Lucien im Alltag nur selten den ägyptischen Vampirlord im mystischen Umhang spielte, verschlug es mir dennoch jedes Mal wieder die Sprache, wenn ich ihn in modernen Outfits sah. Heute Nacht trug er hautenge schwarze Jeans und ein fast durchsichtiges weißes Muscle-Shirt. Jede Kontur seines herrlichen Körpers zeichnete sich deutlich ab. Seine nackten, muskulösen Oberarme ließen mich zittern vor aufwallender Erregung. Kein Wüstenprinz mehr. Sondern eher ein moderner Latin-Lover, mit wallendem, schwarzem Haar und einer unwiderstehlichen Anziehungskraft. Ich beneidete ihn um das sanfte Gold seiner Haut, das sein Wesen so trügerisch tarnte.
Der Wind blies kalt, Sturmwolken brauten sich am Horizont zusammen. Doch sie würden nicht bis zur Isle of Dark kommen. Ab und an huschten sie wie Schatten über den Mond, erstickten das fahle Licht. Ich drückte mich mit dem Rücken an die steinerne Wand der Burg. Wartete, bis Lucien mir zu verstehen gab, dass er meine Anwesenheit registriert hatte. Dass ich mich nähern durfte. So lange blieb ich im Hintergrund, sah ihm nur zu. Sein Körper schien bewegungslos. Doch wenn ich mein drittes Auge öffnete und die Hexe in mir sehen ließ, dann wurde ich des Dämons gewahr, dessen Gestalt sich über Luciens sterbliche Hülle hinaus ausdehnte. Dieses rotglühende gehörnte Wesen. Wahrlich ein Dämon, dem Satan der christlichen Vorstellung nicht unähnlich. Es lauschte mit gespitzten Ohren, den Kopf mal hierhin und mal dorthin drehend. Seine Nase witternd im Wind. Dann und wann schnellte seine gespaltene schwarze Zunge vor, in dem Versuch, einen Gedankenfetzen aufzuschnappen, der an uns vorbeizog. Es war beängstigend. Vor allem die Vorstellung, dass ein ebensolcher Dämon auch in mir lebte und lauschte und gierte. Hatte ich ihn wirklich ebenso gut unter Kontrolle, wie Lucien den seinen?
„Ihr beide seht geradezu lächerlich aus, in eurer Angst“, sagte er.
Verstohlen blickte ich zur Seite und sah Osira dort mit angespannten Ohren und weit aufgerissenen Augen sitzen. Sie fürchtete den Dämon fast noch mehr als ich. Weil er beständig mit ihr um den Besitz meiner Seele rang. Lucien mochte sie deshalb nicht besonders. Seiner Meinung nach war sie schuld, dass ich meine Menschlichkeit nicht schon während der Wandlung verloren hatte. Aber er tolerierte sie nach wie vor.
Der Dämon wendete uns abrupt den Kopf zu. Er brüllte stumm in unsere Richtung, zeigte dabei seine langen Reißzähne. Dann ging sein Blick wieder in die Nacht hinaus, um den Schwingungen zu lauschen, die von überall auf der Welt zu ihm
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