Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
es ihr Wunsch war, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, war ich selbstverständlich bereit, ihr zu helfen. Ich hätte das Dunkle Blut nie von mir aus angeboten. Nicht denen, die mir nahe standen, weil ich zuviel Respekt vor ihren persönlichen Entscheidungen hatte. Doch wenn sie mich nun darum bat.
„Camille, ich kann natürlich …“
Einen Moment sah sie mich überrascht an. Dann fing sie an zu lachen. Ein schwaches Lachen, das von heftigem Husten unterbrochen wurde, aber ein Lachen.
„Oh, nicht doch, nicht doch“, sagte sie schließlich, als sie wieder bei Atem war. „Die Unendlichkeit ist nichts für mich. Und neue Kraft aus solch einer dunklen Quelle zu stehlen, könnte ich nie mit meinem Gewissen vereinbaren. Vergib mir, du weißt, ich verurteile weder dich noch die Entscheidung, die du in Paris getroffen hast. Doch dein Blut ist das Letzte, was ich mir auf dieser Welt wünschen würde.“
Es erleichterte mich, das zu hören. Zwar wäre ich bereit gewesen, ihr das Dunkle Blut zu geben, wenn sie es gewollte hätte, doch gerne hätte ich es nicht getan, denn ich kannte all die Schattenseiten unseres Daseins dank Lucien nur zu gut. Camille hätte ich diese Hölle auf Erden nicht gewünscht. Aber wenn ich ihr den kleinen Trunk gab …
„Damit ich den gleichen Preis zahlen muss, wie Franklin?“, fragte sie in meine Gedanken hinein.
Sie wusste es, hatte es immer gewusst. Und kein Wort gesagt. Sie hatte gesehen, dass Franklin kaum alterte. Sie hatte gesehen, wie unirdisch seine Haut an manchen Tagen schimmerte. Hatte die Blicke gesehen, die heimlich ausgetauscht wurden. Sie hatte akzeptiert, dass sich Franklin so entschieden hatte. Dass er vor dem Altern geflohen war. Aber sie würde nicht fliehen. Sie ergriff meine Hand mit beiden Händen, und ich konnte fühlen, wie schwach sie war.
„Nein, mein Liebes. Ich liebe dich von Herzen. Aber euch zu verfallen … Ich bin nicht so stark, wie dein Vater. Ich würde es nicht ertragen. Über kurz oder lang würde es der Wandlung gleich kommen und dann müsstest du es tun. Das, was wir beide nicht wollen.“ Sie schwieg einen Augenblick, um Kraft zu sammeln für ihre nächsten Worte. „Doch da gibt es etwas, das du für mich tun könntest. Und dein Angebot macht es mir leichter, dich darum zu bitten.“
„Alles, Camille. Du musst es nur sagen.“
Ein schmerzlicher Ausdruck trat auf ihr Gesicht. „Trinke mein Blut!“
Schockiert wich ich zurück. Ich sollte sie töten? Einen Menschen, den ich liebte? Einen Menschen, der mir so nahe stand? Ich hätte sie verwandelt, wenn sie es gewünscht hätte. Ungern, aber ich hätte es getan. Ich hätte ihr mein Blut gegeben, um ihre Krankheit zu lindern, vielleicht sogar zu heilen. Auch, wenn ich sie damit an Das Blut gebunden hätte. Doch sie töten, ihr das Leben aus den Adern saugen, ohne den zweiten Schritt zu tun, ihr ein neues zu geben?
„Camille, das kann ich nicht.“
Ein Schluchzen erfasste ihren Körper und sie zeigte zum erstenmal seit meinem Eintreten wirklichen Schmerz. Die Augen geschlossen klammerte sie sich verzweifelt an ihrer Decke fest. Es zerriss mir das Herz, sie so zu sehen.
„Ich war dort, Melissa. In der Klinik war ich auf der Station, wo sie liegen. Die, für die es keine Hoffnung mehr gibt. Die, deren Leben eigentlich schon zuende ist. Es sind jene, bei denen ich auch bald liegen werde, wenn ich einfach abwarte, bis die Krankheit mich besiegt.“
Sie machte eine Pause, um sich zu sammeln.
„Bitte Melissa! Ich will nicht so qualvoll enden, wie jene, die ich dort auf der Intensiv-Station gesehen habe. Die sie mit Morphium voll pumpen, bis ihr Verstand schon tot ist, noch bevor der Körper stirbt. Ich will in vollem Bewusstsein sterben. Will den Weg klar und deutlich vor mir sehen, wenn ich ihn beschreite. Bitte hilf mir.“
Es war erbärmlich von mir, dass ich sie so darum betteln ließ. Sie war mein Mentor gewesen, hatte mich alles gelehrt, was ich heute wusste, hatte mich geformt ohne mein eigenes Wesen zu verformen. Ich schuldete ihr viel, schuldete ihr alles. Und nun lag sie hier vor mir, gezeichnet vom Krebs, nur noch wenige Wochen vor Augen und bat mich um das, was so viele Menschen sich am Ende ihres Lebens wünschen. Würdig sterben zu dürfen. Es lag in meiner Macht, ihr dazu zu verhelfen. Und ich hatte ihr verbal ins Gesicht geschlagen, indem ich sagte, ich könne das nicht tun.
Auch ich schloss die Augen und überließ mich meiner inneren Zerrissenheit. Ich wusste, ich hätte
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