Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
machte da keinen Unterschied. Nur bei ihr war ich mir sicher, das einzig Richtige getan zu haben, bestätigt durch den friedlichen Ausdruck in ihrem Gesicht.
„Nichts ist vergessen, nichts ist jemals vergessen“, sagte ich, während ich ihr die Augen schloss und ihr die Arme über der Brust kreuzte.
Ich fand Franklin im Kaminzimmer, wo er allein vor dem Feuer stand und sich seinem Schmerz über den bevorstehenden Verlust einer guten Freundin ergab. Für einen Sekundenbruchteil kamen Schuldgefühle in mir hoch, doch ich erstickte sie im Keim.
„Es ist vorbei.“
Franklin hob den Blick, ebenso von Schmerz erfüllt wie von Erleichterung. Bis er den schwachen Schimmer meiner Haut wahrnahm, der ihn wissen ließ, dass ich getrunken hatte. Es gab nur einen Menschen, von dem ich hatte trinken können, seit ich ihn vor knapp einer Stunde verlassen hatte. Der Schock ließ ihn zittern. Wut flammte glühend heiß in seinen Augen auf. Er hielt sich gerade noch am steinernen Kaminsims fest, als ihm die Beine nachzugeben drohten.
„Nein, Melissa! Sag mir sofort, dass du das nicht getan hast.“
„Vielleicht ist es besser, wenn ich jetzt gehe.“
„Bleib hier!“, brüllte er hinter mir her. Gelassen drehte ich mich wieder zu ihm um. „Warum?“, fragte er tonlos.
„Das ist eine Sache zwischen ihr und mir. Sie bat mich darum. Es war gnädiger, als die Alternative.“
„Vielleicht wäre sie wieder …“, begann er mit wachsendem Zorn, doch ich bremste ihn mit einer herrischen Geste, ebenso wie mit meiner eisigen Stimme. Früher hatte er mich angreifen können, heute war ich ihm weit überlegen. Ich war bereit, ihn diese Überlegenheit spüren zu lassen, wenn er sich nicht augenblicklich zurückhielt.
„Sie wäre nie wieder genesen, Franklin. Das weißt du so gut wie ich. Was ich getan habe, war Gnade, nicht Mord. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich würde es wieder tun, wenn ich vor der Wahl stünde. Und ich würde dasselbe für dich tun.“
„Ich würde dich töten, wenn du es nur versuchen würdest“, fauchte er.
„Ach wirklich? Wo du Das Blut doch so liebst. Ja, vermutlich hast du recht, du würdest nicht in meinen Armen sterben, du würdest die Unsterblichkeit wählen. Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte sie verwandelt? Oder ihr den kleinen Trunk gegeben, der sie heilt? Mit dem Preis, mir und meinesgleichen hörig zu sein. So wie du Armand hörig bist?“
„Wage es nicht …“ Er stürzte auf mich zu, mit erhobener Hand. Doch der Schlag blieb aus. Ich hielt seinem Blick stand.
„Leugne nicht das Offensichtliche, Franklin. Und Camille hätte das nie ertragen. Das Blut macht dich zum Sklaven. Weil du immer mehr davon haben willst. Ist es nicht so? Sieh dich doch an. Der Spiegel zeigt dir, was das Blut aus dir macht. Und er zeigt dir auch den Preis, wenn du dir selbst in die Augen siehst. Ich war so lange bei Lucien, habe den Schleier in den Augen seiner Diener gesehen. Und derselbe Schleier hat sich auch schon längst in deinen Blick geschlichen. Er wird jedes Mal stärker, wenn du
Das Blut
trinkst.“
Ich traf einen wunden Punkt bei ihm. Er hasste mich in diesem Moment. Gut! Sollte er nur wütend auf mich sein. Das würde seinen Schmerz lindern. Mich berührte das nicht. Er würde sich auch wieder beruhigen. Wenn er Zeit hatte, darüber nachzudenken, würde er selbst sehen, dass es das Menschlichste war, was man für Camille noch hatte tun können.
Ich betrat Armands Haus – unser Haus – gegen viertel vor elf. Armand hatte das Feuer im Kamin geschürt. Auf dem Tisch standen zwei Gläser mit Wein. Erleichtert registrierte ich, dass es kein Blutwein war, sondern bester französischer Bordeaux. Meine Hand zitterte, als ich eins nahm und den herben Rebensaft durch meine Kehle fließen ließ, in der Hoffnung, er werde Camilles Geschmack auslöschen.
Mit geschlossenen Augen stand ich da, ganz auf den Wein konzentriert und darauf, meine Atmung wieder zu verlangsamen, das Zittern in meinen Gliedern zu kontrollieren. Armands Hand auf meiner Schulter gab mir schließlich die Ruhe zurück.
„Es war ihr Wunsch, nicht wahr?“
„Ja.“
„Dann ist es frei von Schuld, was du getan hast.“
Das wusste ich. Es waren keine Vorwürfe, die mich quälten. Nicht einmal Franklins Wut. Sondern einfach nur der bittere Geschmack ihres Sterbens. Er würde mich immer verfolgen. Doch hätte ich noch einmal vor der Wahl gestanden, ich hätte ihr die Gnade auch dann nicht verweigert.
Müde sank ich auf das Sofa
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