Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
Aberglaube. Wie das mit dem Pflock durchs Herz bei meinesgleichen. Oder der abwehrenden Wirkung von Kruzifixen. Es gab zu viele dieser dummen Bauernweisheiten und kaum eine enthielt mehr als einen Funken Wahrheit. Die Lycaner mieden Silber, das stimmte. Ihre Genetik reagierte allergisch auf Argentum-Legierungen. Aber töten konnte man einen Werwolf ebenso wie einen Vampir nur auf eine Weise. Indem man ihn verbrannte.
Allerdings war der Werwolf kein verfluchtes Geschöpf wie wir. Kein Wiedergänger. Und sein Biss verwandelte auch nicht sein Opfer in einen neuen Werwolf. Es waren keine Menschen, die nachts den Mond anheulten und sich in Bestien verwandelten, um dann bei Tage wieder mit den Nachbarn Kaffee zu trinken.
Werwölfe waren eine ‚natürliche’ Spezies. Eine Mutation, optisch halb Mensch – halb Wolf, obwohl sie mit beiden nicht verwandt waren, wie die Ashera mit einer ganzen Reihe von Gentests schon vor Jahrzehnten herausgefunden hatte. Sie waren einfach eine Laune von Mutter Natur. Und sehr intelligent. Ihre bemerkenswerte Fähigkeit, sich in echte Wölfe zu verwandeln, hatte wohl zu dem Abglauben geführt, der sie umgab.
Ich wollte diese Werwölfe nicht töten. Ich wollte sie nur umsiedeln. Dorthin, wo sie niemanden störten und von niemandem gestört wurden. Franklin hatte das den Leuten hier wohl nicht gesagt. Und ich konnte mir denken, dass sie es ohnehin nicht verstanden hätten.
Als ich anfangen wollte, Andrea Fragen zu stellen, flog die Tür auf und ein verängstigter Mann stürmte herein. Er redete wild gestikulierend in seiner Muttersprache, packte Andrea an den Armen, um ihn zu schütteln. Er war völlig außer sich. Etwas Schreckliches schien ihm widerfahren zu sein. Die einzigen Worte, die ich verstand und die er ständig wiederholte waren: „Lup“ – Wolf!, mordant – Mord! Und schließlich vârcolac – Werwolf. Mit jedem Mal, wenn er das letzte dieser Worte sagte, wurde das Murmeln der umstehenden Männer lauter.
Geduldig wartete ich, bis sein hektischer Redeschwall allmählich abebbte, der Schock ihn in eine Starre verfallen ließ. Schließlich sank er auf einen der Hocker nieder, den Blick ins Leere gerichtet und murmelte nur noch dieses eine Wort. Vârcolac. Vârcolac.
„Das seien Simeon. Er armer Bauer, wohnen Rand von Siedlung“, stellte Andrea uns den Neuankömmling vor und erklärte dann, was der Mann zu sagen hatte. „Haben kein Geld für moderne Heizung. Nur kleine Ofen in Hütte. Er sagen, war in Wald holen Holz. Esel scheuen an alte See und laufen davon. Werfen Simeon um und Simeon fallen steile Ufer runter, landen in Wasser. Schlimm kalte Wasser. Er wütend. Schimpfen auf dumme Esel. Da er sehen etwas in Wasser, greifen und halten Hand von tote Frau.“
„Ich fasse mal kurz zusammen“, versuchte ich mich in Geduld. „Irgendwo im Wald, wo ein alter See ist, liegt eine Frauenleiche, die Simeon zufällig gefunden hat.“ Wieder nickte mein Fremdenführer kurz und kräftig. „Gut, dann los.“
Der Ausdruck aller Anwesenden im Raum war eine Mischung aus Frage, Schreck und Ungläubigkeit. Was in mir völliges Unverständnis hervorrief.
„Ich finde diesen Ort nicht allein. Wäre einer der Anwesenden bitte so freundlich, uns zu begleiten?“
„Es sein Nacht! Stürmisch und kalt.“
Ich drehte mich wieder zu Andrea um, von dem der Kommentar stammte. „Das sehe ich. Bis morgen früh könnte die Leiche aber schon von irgendeinem Tier geholt worden sein.“
Das war das Stichwort, das der verwirrte Simeon verstand und auf das er gewartet zu haben schien. In dem Moment als ich Tier sagte, begann er wie ein Wahnsinniger zu schreien und immer wieder vârcolac und mordant zu rufen. Ich dachte nicht weiter nach, sondern verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Machte man das nicht mit Leuten, die einen hysterischen Anfall hatten? Hier offenbar nicht, denn alle starrten mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Nur Armand grinste breit. Immerhin war Simeon jetzt ruhig. Ich überlegte kurz, dann drückte ich ihm meinem Becher Tee mit Rum – eigentlich war es ja eher Rum mit Tee – in die Hand. Das glückselige Lächeln, das beim Duft aus der Tasse auf sein Gesicht trat, ließ hoffen, dass er nun vorerst den Mund halten und sich am Getränk erfreuen würde.
„Ich soll die Vorkommnisse hier klären, die Ursache finden und das Problem lösen. Das werde ich wohl kaum von diesem Tresen aus tun können.“
„Problem leicht lösen. Töten alle Wölfe in
Weitere Kostenlose Bücher