Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
der alten Krähe interessierten ihn wenig.
Melissas Misstrauen und Ablehnung waren zu einer nie heilenden Wunde geworden, die er selbst immer wieder aufriss, indem er handelte, ohne nachzudenken.
Ruhelos durchstreifte er die Wälder, wollte England nicht verlassen, doch wagte er ebenso wenig, in London zu bleiben. Irgendwo hier gab es sicher eine kleine Jagdhütte, in der er für eine Weile Unterschlupf fand, bis der Rauch sich verzogen hatte. Dann wollte er noch einmal mit Mel reden, sich ihr erklären, und vielleicht würde sie ihn verstehen. Sie besaß ein großes Herz und ein ganz klein wenig war auch Platz für ihn, das spürte er jedes Mal, wenn sie ihn ansah. Umso mehr quälte ihn die Enttäuschung, die er ihr zum wiederholten Mal bereitete.
Endlich wurde er fündig. Verborgen in einem Tannendickicht lag ein Häuschen. Er zögerte, denn die Autospuren vor der Tür waren frisch. Seine Nase trug ihm den Geruch von menschlichem Blut zu, jemand befand sich im Inneren. Beinahe wollte er schon wieder gehen und weitersuchen, da hörte er leises Schluchzen. Eine unglückliche Seele?
Der Dämon in ihm kehrte zurück, betäubte sein Gewissen. Vielleicht brachte er Erlösung von großem Kummer, dann wäre es gar keine schlechte Tat.
Aus den Fenstern dran kein Licht. Das Wimmern klang sehr hoch, vielleicht ein junges Mädchen mit Liebeskummer. Er fand die Tür unverschlossen und trat ein, in diesem Augenblick erstarb das Geräusch und Totenstille lag im Raum. Seine Blicke durchmaßen die Dunkelheit, blieben an einem merkwürdigen Kasten auf einem Beistelltisch hängen, in dem etwas auf dem Boden lag. Misstrauisch näherte er sich, hielt dann verblüfft inne.
Eine Elfe! Der Glanz ihrer Flügel war erloschen, sie musste schon eine Weile tot sein. Mit Insektizid getötet, wie die Aufschrift des Kanisters daneben verriet. Verächtlich verzog er den Mund. Warum tötete jemand eine Elfe? Er mochte diese Wesen, vor allem in ihrer magischen Form. Im Alltag unterschieden sie sich kaum von Menschen, sobald sie ihre Augen mit farbigen Kontaktlinsen tarnten. Doch sie rochen anders als Sterbliche, süß und unschuldig. Ihm gefiel dieser Duft, weil er so viel unverdorbener war als bei den Menschen.
Aber diese Elfe konnte kaum geweint haben, also musste noch jemand hier sein. Jemand, der ganz ähnlich roch wie sie.
Er ging in den hinteren Bereich der Hütte, wo er schließlich einen Käfig mit einem kleinen Mädchen fand, das zusammengekauert in einer Ecke saß, die Wangen tränennass.
„Hallo, Kleine. Sagst du mir, wie du heißt?“
Ihre großen blauen Augen blickten voller Furcht und Misstrauen. Er legte den Kopf schief und lächelte sie aufmunternd an.
„Sa…samara“, antwortete sie mit dünner Stimme.
„Samara. Ein wunderschöner Name.“
„Ist die Elfe tot?“
Er schaute zum Glaskasten hinüber. „Ich fürchte ja.“
Lächelnd blickte er wieder zu der Kleinen. „Deine Augen leuchten“, stellte sie fest und zog sich noch ein Stück weiter zurück.
Er schürzte die Lippen. „Das ist ein Trick, weißt du? Damit kann ich nämlich auch im Dunkeln sehen.“
„Du meinst, deine Augen machen dir Licht im Dunkeln?“
Ihre Naivität war hinreißend. Er wollte sie fragen, wer sie in diesen Käfig gesperrt hat, da hörte er draußen den Motor eines Geländewagens. Das stellte nicht zwingend ein Problem dar, denn dem Mörder einer Elfe und Entführer eines kleinen Mädchens eine kleine Lektion zu erteilen, war durchaus verlockend. Doch zu dem Geräusch gesellte sich noch etwas anderes, das ihm die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Die Präsenz erkannte er unter Tausenden und wusste um die Gefahr, die sie mit sich brachte.
Kaliste!
Hektisch glitt sein Blick durch den Raum, blieb schließlich am Kamin hängen. Er legte einen Finger auf seine Lippen und sah Samara beschwörend an. Die Kleine nickte. Dann duckte er sich in die schmale Feuerstelle und schoss einer Spinne gleich an den Wänden des Schornsteins nach oben, gerade rechtzeitig bevor die Tür zur Hütte aufging und Kaliste sowie ein Fremder eintraten.
Dracon wagte nicht einmal zu atmen. Reichte seine Kraft aus, um seine Gegenwart vor der Königin zu verbergen? Schweiß brach ihm aus, tränkte seine Kleidung. Das Herz wummerte so laut in seiner Brust, dass er kaum Zweifel hatte, jeden Moment Kalistes Gesicht zu erblicken, wie sie in den dunklen Schacht hinaufstarrte, um ihm dann augenblicklich die Quittung für seine Neugier zu verpassen. Doch vorerst war
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