Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
jemandem so nah sein werde wie Blue in dieser Nacht.
Die Blicke der anderen, als wir zurückkehrten, berührten mich nicht. Niemand sagte ein Wort – nicht einmal mein Vater.
Im Morgengrauen stand das Heer bereit. Dunstschleier schwebten gespenstisch durch den Garten. Die Schneedecke war schon gestern der Hitze des Kampfes gewichen. Das spärliche Gras schimmerte feucht. Bald würde es mit Blut getränkt sein. Am Horizont öffnete sich ein schmaler Streifen Licht. Der erste des neuen Tages. Der letzte für so viele von uns – von ihnen.
Wir hörten das Scharren der Krallen, als Domeniko mit den Seinen näher kam. Der Rest der Stadt war wie ausgestorben. Ich lachte bitter – man durfte es beinah wörtlich nehmen. Das Problem der Überbevölkerung war auf jeden Fall gelöst.
Am anderen Ende des Gartens kam Domeniko in Sicht. Neben ihm stand der Amarok. Die beiden warteten darauf, dass die Sonne aufging. In dem festen Glauben, dann leichtes Spiel zu haben. Die sollten sich wundern.
Der Schrecken auf Domenikos Gesicht war Balsam für meine Seele, als er seinen Irrtum erkannte. Der Anblick von Vampiren, Seite an Seite mit den Menschen, verwirrte ihn. Geschöpfe der Nacht, unempfindlich gegen das Licht der aufgehenden Sonne. Das war zu hoch für ihn.
Der Feuerball überschritt die Kimmung, seine Strahlen stachen mir in die Augen. Ich fühlte, wie sich die smaragdgrüne Iris mit flüssigem Gold füllte – ein Spiegelbild der Mordlust, die ich empfand. Sie galt keinem Geringeren als Domeniko.
Seine Lykaner und die Waheelas fletschten in unsicherem Drohen die Zähne. Sicher erkannten sie auch auf diese Entfernung den Schimmer des Faun-Silbers. Diese Klingen würden mehr als eine leicht allergische Reaktion auslösen.
Doch Domeniko war zu stolz, einen Rückzieher zu machen oder sich zu ergeben. Er hatte geglaubt, mit Eloins Tod wäre die Entscheidung zu seinen Gunsten gefallen. Jetzt klein beizugeben, kam nicht infrage. Darüber hinaus trieb ihn seine Gier, jeden zu töten, der seinen Feinden nahestand und verhinderte, dass er sich ergab, obwohl ihm klar war, dass er am Ende nicht gewinnen konnte.
Wir mochten keinen sicheren Kandidaten für Eloins Nachfolge haben, doch der würde sich finden. Der Krieg drehte sich nicht länger um Corelus’ Nachfolge, sondern nur noch um das Überleben der Menschen und die Vernichtung der feindlich gesonnenen Lycaner. Beide Seiten waren entschlossen, bis zum bitteren Ende zu kämpfen – wenn es sein musste, bis zum Tod. Eine andere Wahl gab es längst nicht mehr.
Der Amarok reckte seinen Kopf gen Himmel und stieß ein markerschütterndes Heulen aus. Das Zeichen zum Angriff. Wie ein einziges Wesen setzten sich seine Waheelas in Bewegung. Domeniko zögerte einen letzten Augenblick, dann gab auch er seinen Leuten den Befehl.
„Er hat sein Gefolge ausgebaut“, flüsterte Ben neben mir, ohne sich zu rühren.
„Ich sehe es.“
In den hinteren Reihen näherten sich mehrere Gestaltwandler und einige Bajangs. Rugo gab einen empörten Laut von sich. „Diese Verräter werden aus den Annalen gestrichen.“
„Wartet, bis sie fast hier sind“, mahnte ich. Wir mussten genügend Raum hinter ihnen haben. Blue würde mit seinen Dolmenwächtern dem Feind in den Rücken fallen. Mit den Dämonensöldnern aus der Luft hatten wir Domeniko so von drei Seiten eingekesselt. Uns war klar, es durfte kein Entkommen geben.
Je näher der Amarok heranpreschte, umso größer die Verwirrung auf Domenikos Gesicht, dass sich keiner von uns bewegte, um den Angriff abzuwehren. Ich musste mich über mich selbst wundern, dass ich innerlich so ruhig blieb. Aber diese Ruhe übertrug sich auf die anderen. Keiner ließ sich zu einer verfrühten Attacke hinreißen. Mein Blick blieb starr auf die Linien hinter Domenikos Nachhut gerichtet.
„Ich vertraue dir, Blue. Ich vertraue dir.“
Dann das erste Aufblitzen.
„Jetzt!“, schrie ich und stürmte im selben Moment los. Das Kampfgeschrei konnte auf dem Schlachtfeld von Culloden nicht größer gewesen sein. Nur die Schwerter waren hier spärlicher gesät. Stattdessen fanden Zähne und Krallen Einsatz. Aus dem Himmel stießen die Dämonensöldner wie Raubvögel herab. Sie überrumpelten die Waheelas, hieben mit ihren Schwertern Sehnen durch, dass sich die Geisterwölfe überschlugen, und stießen die Klingen tief in ihre Herzen.
Natürlich hielt das Überraschungsmoment nicht an. Nachdem die ersten Reihen gefallen waren, duckten sich die nachfolgenden unter
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