Ruf Des Dschungels
Flugzeug. Diesmal saß ich hinten und Papa vorn. Vor dem Fenster zog die Landschaft vorbei, als die Maschine in den Nachmittagshimmel stieg. Höher und höher ging es empor, die Bäume und Häuser wurden von Sekunde zu Sekunde kleiner. Wir machten einen Bogen und flogen über Foida, um einen letzten Blick auf den Hügel, die Häuser der Fayu und den Fluss zu erhaschen.
Über dem Land der Fayu
Plötzlich hatte ich einen dicken Kloß im Hals. Ich verdrängte das alles, zwang mich, an nichts zu denken, nichts zu fühlen. Dennoch kam mir ein trauriger Gedanke: der Gedanke, dass dies vielleicht das letzte Mal war, dass ich die Schönheit des endlosen Dschungels bewunderte, die lächelnden Gesichter der Fayu sah, die süße Luft einatmete und die feuchte Hitze auf meiner Haut fühlen konnte. Nein, darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken, ich musste mich auf etwas anderes konzentrieren, mich ablenken.
Ich schloss die Augen, fühlte das Flugzeug vibrieren, roch die Hitze in der kleinen Maschine und auch den kalten Wind, der durch eine kleine Fensteröffnung drang. Eine tiefe Leere überkam mich, ich fiel, und es schien kein Ende zu geben. Voller Schmerz, Trauer und Verwirrung fragte ich mich, wo ich denn nun hingehörte. Ich wollte mich an etwas festhalten, doch alles schien mir zu entgleiten, je weiter wir flogen.
Erneut verlor ich all das, was mir am ehesten eine Heimat gewesen war, eine Lebensweise und Kultur, die ich verstand und liebte. Warum war ich überhaupt weggegangen? Wieso hatte ich nicht dafür gekämpft, früher hierher zurückzukehren? Wieso war das Leben so schwer?
Einige Stunden später landeten wir in Jayapura. Dort wartete ein Wagen auf uns, um uns nach Waena zu bringen. In wenigen Tagen würde ich auf dem Weg zurück nach Deutschland sein. Einerseits konnte ich es kaum erwarten, meine Kinder wiederzusehen, andererseits fürchtete ich mich vor der Rückkehr. Aber auch darüber wollte ich nicht nachdenken, ich hatte noch einige Tage vor mir, um die Wärme und die Lebendigkeit dieser Insel zu genießen.
Es begann am nächsten Morgen. Ich fühlte mich krank. Völlig erschöpft, mit Magenschmerzen, Schwindel, Müdigkeit, die mich den ganzen Tag ans Bett fesselten. Ich wollte niemanden sehen, wollte nicht aufstehen. Ich lag einfach nur da und starrte an die weiße Zimmerdecke, während der Ventilator mir ins Gesicht blies.
Am zweiten Tag zerrte Papa mich aus dem Bett. Die Reise zu den Fayu hatte ihn erschöpft, und er war zu schwach zum Einkaufen, daher schickte er mich mit Jacop in die Stadt. Wie im Traum lief ich durch die Inseln aus Lebensmitteln im Supermarkt und griff nach allem, was mir essbar und leicht zuzubereiten vorkam. Wie in Trance schob ich den Wagen zur Kasse, stand da und wartete, während eine junge Indonesierin die Preise zusammenrechnete. Ich griff zu meinem Portemonnaie, um zu bezahlen, und plötzlich war mein Kopf völlig leer.
Ich starrte auf den Betrag, den sie mir zeigte, und wusste nicht mehr, was ich zu tun hatte. Es wurde still, mehrere Leute sahen mich an und fragten sich, was los sei. Ich spürte, wie mir die Tränen kamen, ich war total konfus, die Rechnung nur noch ein Gewirr aus seltsamen Zahlen. Da mir nichts anderes einfiel, gab ich Jacop mein Portemonnaie und ging hinaus. Was war nur mit mir los? Warum war ich zu den einfachsten Dingen nicht mehr fähig?
Auf dem Heimweg riet mir Jacop zu einem Malariatest, da meine Symptome der tropischen Malaria ähnelten, auch als Gehirnmalaria bekannt. Zu Hause ging ich sofort zu unserer Nachbarin, die mir Blut für den Test abnahm. Einige Stunden später bekamen wir das Ergebnis: keinerlei Anzeichen einer Krankheit.
Ich ging wieder nach Hause, noch immer völlig durcheinander wegen dem, was da gerade mit mir geschah.
Als ich in dieser Nacht im Bett lag, fiel mir eine Erklärung ein. Stand ich vielleicht unter Schock? War der Gedanke an eine Rückkehr so unfassbar, dass mein Körper sich einfach nur wehrte? Plötzlich wurde mir klar, welche Angst ich vor der Ankunft in Deutschland hatte, wie hilflos und entmutigt ich mich fühlte. Nichts hätte ich lieber gewollt, als hier zu bleiben, doch die Verhältnisse zwangen mich zur Rückkehr. Je näher der Tag meiner Abreise rückte, desto mehr schwanden die Sicherheit und das Glück, die ich hier empfand.
In den letzten Wochen hatte ich sehr intensive Gefühle mit extremen Höhen und Tiefen erlebt, und die Ungewissheit darüber, wo ich wirklich hingehörte, wurde immer stärker.
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