Ruf Des Dschungels
bewusst, dass ich in wenigen Minuten wieder in meiner Heimat sein werde. Mir schießen Tränen in die Augen.
Die vergangenen Tage sind sehr hektisch gewesen, erst die Demonstrationen in Jakarta und danach die Vorbereitungen für unsere Einreise nach West-Papua. Noch immer schwirrt mir der Kopf von all dem, was ich gesehen und erlebt habe. Die Nachricht, dass die Polizei in papuanischen Studentenheimen überall in Indonesien Razzien durchführt, sozusagen als Vergeltungsmaßnahme für die Demonstrationen, macht mir Sorgen.
Ich sehe die Gesichter der einzelnen Studenten vor mir, von denen die meisten inzwischen untergetaucht sind.
Wir haben lange darüber diskutiert, wie wir einreisen sollen. Dass die indonesische Regierung alle Ausländer davor gewarnt hat, West-Papua ohne Genehmigung zu betreten, und jegliches Interesse an internen Angelegenheiten mit sofortiger Ausweisung bestraft, ist uns nur allzu klar. Wir dürfen unter keinen Umständen auffallen, dürfen uns nicht in der Öffentlichkeit zeigen und sollten Hotels möglichst meiden. Die nötigen Vorkehrungen werden getroffen, und bald schon sind wir wieder einmal mit Yolan unterwegs, der uns in sicherem Abstand folgt, für den Fall, dass wir in Schwierigkeiten geraten.
Nach unserer Landung spähe ich in alle Richtungen und halte nach Polizei oder Militär Ausschau – wird uns überraschend ein Begrüßungskomitee erwarten? Doch ich kann nichts Ungewöhnliches erkennen, nur die üblichen Flughafenmitarbeiter. Mein Herz schlägt bis zum Hals, während wir aus der Maschine aussteigen und im Bus die kurze Strecke zum Terminal fahren. Die ganze Zeit über halte ich den Blick gesenkt, und dennoch entgeht mir nichts.
Auf einmal tippt Jon mich an, ich folge seinem Blick. Dort hinten stehen mehrere Polizisten, doch sie scheinen uns nicht weiter zu beachten. Mit schnellen Schritten gehen wir ins Terminal hinein, dasselbe Gebäude, das ich vor wenigen Monaten schon einmal betreten habe. Während ich mich umsehe, lässt meine innere Unruhe allmählich nach. Ein Gefühl von Vertrautheit überkommt mich – wie gut es tut, wieder hier zu sein!
Auf dem Parkplatz wartet ein Bekannter von Jon auf uns, bei dem wir wohnen werden. Wir fahren auf der mir wohlvertrauten Straße nach Jayapura, und langsam nimmt die Anspannung, unter der ich seit unserer Abreise stehe, ab. Wir kommen an zahlreichen Orten vorbei, mit denen ich Erinnerungen verbinde, und Jon hört sich meine Erzählungen geduldig an.
Dann kommen wir auf ein aktuelles politisches Ereignis zu sprechen. Jemand hat heimlich die papuanische Flagge gehisst, und der Mann, den man der »Tat« verdächtigt, ein Professor von der hiesigen Universität, ist spurlos verschwunden. Das Militär behauptet, den Mann nicht verhaftet zu haben, doch seine Studenten sind der festen Überzeugung, er sei erschossen und seine Leiche weggeschafft und irgendwo verscharrt worden.
»Wie kann es sein, dass niemand weiß, wo der Mann steckt?«, frage ich.
»Das ist leider nicht ungewöhnlich«, erwidert Jon. »Niemand kann mit absoluter Sicherheit sagen, wie viele Leute in den vergangenen vierzig Jahren verschleppt worden sind. Aber die Zahl soll in die Zehntausende gehen.«
Seltsam,
denke ich,
wie können so viele Menschen spurlos verschwinden?
Nach einer Dreiviertelstunde fahren wir eine Anhöhe hinauf und halten vor einem Haus. Eine ältere Frau erwartet uns an der Tür. Sie wirft die Arme um Jon und begrüßt ihn wie einen verlorenen Sohn.
Nachdem Jon sie mir vorgestellt hat, heißt sie mich ebenso stürmisch willkommen, zieht mich ins Haus und sagt, sie freue sich ja so, mich endlich kennen zu lernen, denn sie hatte von meinem Buch und meiner Unterstützung für West-Papua gehört. Dann dürfen wir uns in einem Raum mit mehreren Sofas niederlassen und uns ausruhen, während sie uns einen Tee kocht.
Wenige Minuten später kommt »Mama« – sie besteht darauf, dass ich sie so nenne – mit einem Teetablett und gebackenen Bananen wieder herein. Sie setzt sich neben mich, nimmt meine Hand in ihre und wiederholt noch einmal, wie froh sie über mein Kommen sei. Dann entschuldigt sie sich für ihr schlichtes Zuhause.
Ich widerspreche ihr nachdrücklich, bedanke mich für ihre Gastfreundschaft und erkläre ihr, dass ihr Haus im Vergleich zu dem meiner Eltern in Abepura sehr schön sei. Sie nickt zufrieden, ich scheine die richtige Antwort gegeben zu haben.
Als die Sonne langsam untergeht, merke ich, wie müde ich bin. Ich habe
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