Ruf Des Dschungels
Und was für einen Wert hätte eine Axt noch, wenn keine Bäume mehr da sind?
Natürlich sind nicht nur die Bäume wichtig für ein Volk wie die Fayu, sondern auch die Größe ihres Landes. Seit Generationen leben sie als Nomaden und ziehen von Hütte zu Hütte. Sie leben durchschnittlich drei Monate an einem Ort, jagen und essen alles um sich herum und ziehen dann weiter.
Nähme man ihnen nun einen Teil ihres Landes weg, und zwar mit der Begründung, ihnen bleibe ja noch genug Platz zum Leben, dann könnten sie nicht mehr umherziehen. Sie essen und jagen in einem Gebiet so lange, bis nichts mehr da ist, und da sie nicht wissen, wie man pflanzt und sät, würden sie eines Tages verhungern.
Sie haben keine Schulbildung und haben auch sonst keine Fertigkeiten, die in einer Stadt gebraucht werden. Dieses böse Erwachen haben andere Stämme vor ihnen bereits erlebt, und plötzlich verhungern Menschen in einem Land, von dem man annehmen sollte, es gebe für alle genug zu essen.
Meine Eltern hatten versucht, den Fayu das Prinzip des Gärtnerns nahe zu bringen, und obwohl einige von ihnen tatsächlich Süßkartoffeln und Obst anbauten, pflegten sie die Gärten nicht. Zwar säten sie aus, aber wenn sie nach einiger Zeit zurückkehren, dann ernteten sie das Obst und Gemüse sofort. War irgendwann alles geerntet und gegessen, dann zogen sie einfach zum nächsten Ort weiter, ohne neu anzupflanzen.
Sie haben ihr neu erworbenes Wissen einfach ihrem Lebensstil angepasst. In ihren Adern fließt das Blut von Jägern und Sammlern, ihr gesamtes Denken ist darauf ausgerichtet, ihr Verständnis vom Überleben und all ihre Fähigkeiten zielen nur darauf ab.
Das Ganze ist eine Gratwanderung. Auf der einen Seite will man die Kultur und die Gesellschaft erhalten, auf der anderen darf man nicht leugnen, dass die Zeiten sich ändern. Neue Ansätze sind notwendig, damit die Fayu sich erfolgreich integrieren können, sonst ergeht es ihnen wie so vielen anderen vor ihnen, die sich eines Tages im Schmelztiegel der modernen Gesellschaft aufgelöst haben.
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19 Die Ereignisse von Wasior
D ie Geschichte, die ich jetzt erzählen möchte, handelt von Intrigen, Leid, Habgier und Betrug. Es ist ein Geflecht aus mehreren Handlungssträngen, die zusammen ein engmaschiges Netz ergeben, und dennoch steckt in jedem einzelnen Strang eine eigene Geschichte.
Bei meiner Suchaktion habe ich zunächst die Menschen aufgespürt, die sich in der Mitte des Netzes befinden, und dank ihrer Zeugenaussagen hat sich die Geschichte mehr und mehr zu einem Ganzen gefügt.
Ich habe mit vielen Zeugen gesprochen, manche werden namentlich genannt, andere haben darum gebeten, anonym bleiben zu dürfen. Denn sie alle haben sich durch ihre Aussage in Gefahr gebracht und müssen wegen ihrer offenen Worte mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen. Nach allem, was ich nachprüfen konnte, haben die Ereignisse tatsächlich so stattgefunden, wie sie mir anvertraut wurden; ein Vertrauen, genährt durch den verzweifelten Wunsch nach Gerechtigkeit.
Ich kann weder Gerechtigkeit noch Veränderungen garantieren, ebenso wenig kann ich all jenen Entschädigungen versprechen, die ihre Familien, ihr Land oder ihren Besitz verloren haben. Ich kann nur eines versprechen: ihr Sprachrohr zu sein, damit ihre Stimmen gehört werden können. Und so trage ich, so gut es mir möglich ist und dank der Informationen, die ich sammeln konnte, all das hier weiter, was die Menschen mir über die so genannten Ereignisse von Wasior zugetragen haben.
Es begann im März 2001 , als drei Männer papuanischer Abstammung in den Ort Wasior in der Provinz Manokwari kamen.
In Wasior und Umgebung leben siebenundfünfzig verschiedene Volksstämme, deren Grenzen von der Küste bis ins Hochland verlaufen, mit Wasior als der wichtigsten Stadt an der Küste.
In Wasior angekommen, suchten die drei Männer das Haus von Thelis auf, einem papuanischen Anwalt und angesehenen Bürger der Stadt. Sie waren jeder mit einem Gewehr und Munition bewaffnet und verkündeten, sie seien gekommen, um der papuanischen Bevölkerung ihren Schutz anzutragen.
Da Thelis sie nicht kannte, fragte er, ob sie ein Empfehlungsschreiben hatten, mit dem sie sich als ehrliche Bürger ausweisen konnten. Als die drei keinen solchen Brief vorlegen konnten, wurde der Anwalt misstrauisch. Die Papua hatten es vor einigen Jahren zur Pflicht gemacht, dass jeder Einheimische, der von einer Provinz in eine andere reiste, einen Vorstellungsbrief seines
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