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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits
Autoren: John Harwood
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meiner Eigenschaft als Rechtsanwalt seines Onkels Cornelius, eine Treuhandschaft, die von meinem Vater auf mich übergegangen war. Wir hatten eine kleinen Familienbetrieb in der Stadt Aldeburgh, und ich war in die Fußstapfen meines Vaters getreten, wie er in diedes seinen. Wie jeder Junge, der in diesem Teil von Suffolk aufwuchs, hatte ich Geschichten über Wraxford Hall gehört. Wraxford Hall liegt mitten im Mönchswald, Luftlinie sind es etwa sieben Meilen, ein gutes Stück länger, wenn man der Straße folgt, südlich von Aldeburgh. Der alte Cornelius Wraxford hatte hier seit Menschengedenken in vollkommener Abgeschiedenheit gelebt, umgeben von einer Handvoll Angestellter, die er aufgrund ihrer wortkargen Art gewählt haben musste. Denn außer zu schweigen, gab es wohl wenig, das sie können mussten in dieser Umgebung, wo das Haus verfiel und die Wildnis sich wieder des Parks bemächtigte. Selbst Wilddiebe mieden den Ort, denn im Mönchswald, so ging die Legende, spukte der Geist – unschwer zu erraten – eines Mönchs. Jeder, der die Erscheinung sah, so hieß es, würde innerhalb eines Monats sterben. Und außerdem hielte Cornelius, wie die Gerüchte es wissen wollten, eine Horde von Hunden, die so wild waren, dass sie einen in Stücke rissen, wenn sie einen fingen. Manche sagten, der alte Geizkragen hüte einen immensen Schatz von Gold und Edelsteinen; andere beharrten darauf, er habe seine Seele an den Teufel verkauft im Tausch gegen die Gabe des Fliegens, oder gegen eine Tarnkappe oder andere solcher Teufelsgeschenke. Da gab es die Geschichte des Wilddiebes William Brent, der damit prahlte, er könne so nahe an dem Herrenhaus jagen, wie er wollte, ohne einen Hund aufzuschrecken – bis zu jener Nacht, in der er ein bösartiges Gesicht sah, das aus einem Fenster auf ihn herabstarrte; innerhalb eines Monats war er tot. Zugegeben, er starb an einer Brustfellentzündung, aber trotzdem   … Mein Vater gab nichts auf die Gerüchte, konnte aber selbst nichts zur Aufklärung beitragen, denn er hatte Cornelius nur einmal getroffen, im Büro, etliche Jahre vor meiner Geburt. Selbst damals schon, sagte er, hatte Cornelius wie ein alter Mann ausgesehen, klein, verhutzelt und finster. Alle weiteren Geschäfte waren schriftlich erfolgt.
     
    Als ich älter wurde, erfuhr ich von meinem Vater mehr über die Geschichte des Hauses. Es war in der Zeit Heinrichs des Achten erbaut worden, gleich neben dem Kloster, von dem der Mönchswald seinen Namen hatte. Die Wraxfords hatten – wie viele katholische Familien – während der Regentschaft der Königin Elizabeth ihrem Glauben abgeschworen. Wraxford Hall hatte während des Bürgerkrieges als royalistischer Stützpunkt gedient. Karl der Zweite selbst soll sich in dem Schlupfwinkel für Priester versteckt haben, während Henry Wraxford sich Cromwells Gefolgsleuten entgegenstellte. In der Zeit der Restauration wurde Henry in den Adelsstand erhoben, aber der Titel starb mit ihm. Für die nächsten hundert Jahre diente das Anwesen etlichen Generationen von Wraxfords als Sommerresidenz, die meisten von ihnen Gelehrte und Geistliche, die nichts auch nur ansatzweise Bedeutsames geschaffen hatten.
    In den 1780ern ging das Anwesen auf Thomas Wraxford über, einen ehrgeizigeren Mann, der jüngst eine reiche Erbin geheiratet hatte. Er machte sich sofort daran, das Haus und das Grundstück auszubauen mit dem Ziel, dort einen großartigen Lebensstil zu pflegen, und war taub für alle Hinweise auf die Abgeschiedenheit und Unzugänglichkeit des Anwesens. Er investierte den Großteil des Vermögens seiner Ehefrau sowie seines eigenen in diesen Plan, aber die großen Feste wurden nie gefeiert: Alle Einladungen lehnte man höflich ab, und die gerade erst eingerichteten Zimmer blieben unbewohnt. Und dann, etwa 1795, starb sein einziger Sohn Felix im Alter von zehn Jahren, als er von einer Galerie über dem Hauptsaal stürzte.
    Thomas Wraxfords Ehefrau verließ ihren Mann bald nach der Tragödie und kehrte zu ihrer Familie zurück. Er lebte weitere dreißig Jahre auf Wraxford, bis an einem Morgen im Frühjahr des Jahres 1820 sein Diener, der ihm zur gewohnten Stunde sein heißes Wasser brachte, seinen Herrn nicht vorfand. Das Bett war unangetastet, aber nirgends gab es Zeichen einesKampfes oder einer Störung. Die Außentüren und die Fenster waren wie immer verschlossen, und das Einzige, was fehlte, war das Nachtkleid, das Thomas Wraxford am Abend zuvor getragen hatte, als der Diener ihn das
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