Rufmord
verschwanden die Männer in dem langen Flur.
»Und nun zu Ihnen.« Mit spitzen Fingern zupfte die junge Frau eine Karteikarte aus dem Kasten. »Da haben wir sie. Franklin, Clarissa. Ist die Patientin über Ihren Besuch informiert?«
»N... nein ...«, stammelte Bob verunsichert. »Es soll ... eine Überraschung sein.«
»Dann warten Sie bitte.« Sie drückte auf den Knopf der Sprechanlage. »Monica, hier ist ein Besucher für Clarissa Franklin. Ist sie auf ihrem Zimmer?«
»Die ist im Garten und zupft Radieschen«, tönte es aus dem Lautsprecher. »Ich komme runter und führe den Besucher zu ihr.«
»Du wirst gleich hingebracht«, piepste das Mädchen Bob freundlich entgegen. »In der Zwischenzeit kannst du dich von dem Sicherheitspersonal durchsuchen lassen.« Dabei deutete sie zu den zwei Aufsehern. »Und vergiss nicht, deinen Ausweis hier zu lassen. Du bekommst ihn nachher wieder.«
Bob kramte seinen Schülerausweis hervor und legte ihn auf den Tresen. Anschließend tastete einer der Aufseher seinen Körper mit einem Metallsuchstab ab, während der andere den Inhalt seiner Hosentaschen inspizierte. In diesem Moment kam eine Krankenschwester die Stufen hinabgeeilt, steuerte auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen.
»Ich bin Schwester Whitney. Sind Sie der Besucher für Mrs Franklin?«
Er nickte. »Mein Name ist Bob Andrews.«
»Alles in Ordnung«, meldete der Aufseher. »Der junge Mann kann passieren.« Er winkte ihn durch den Sicherheitsbereich.
»Dann kommen Sie bitte.« Die Schwester ging voraus und Bob folgte ihr in einen langen, endlos wirkenden Flur mit unzähligen Türen rechts und links. Ein sonderbarer, schwer zu definierender Geruch lag in der Luft. Bob tippte auf ein Desinfektionsmittel.
Nach etwa zwanzig Metern stoppte Schwester Whitney vor einer Glastür und zog an deren Knauf. »Hier geht es hinaus in den Garten.«
Die beiden traten nach draußen und gingen einen breit angelegten Kiesweg entlang, der vorbei an einem Teich mit Seerosen zu einem kleinen Gewächshaus führte. Davor befand sich ein längliches Beet. Mit dem Rücken zu ihnen kniete eine Frau, die eifrig damit beschäftigt war, Radieschen aus der Erde zu zupfen und diese in ein Körbchen zu legen.
»Mrs Franklin, hier ist Besuch für Sie.«
Als sich die Psychologin umdrehte und Bob erblickte, schloss sie unwillkürlich die Augen.
»Ist alles in Ordnung?«, vergewisserte sich Schwester Whitney besorgt.
Mrs Franklin erhob sich aus dem Beet. »Ich ... ich bin okay. Ich bin nur überrascht. Mit Besuch habe ich nicht gerechnet. Sie ... Sie können gehen.«
»Dann lasse ich Sie beide allein.« Schwester Whitney ging auf eine Gartenbank zu, die etwa fünfzehn Meter entfernt unter einer Palme stand, nahm darauf Platz und ließ dabei Mrs Franklin und Bob nicht aus den Augen.
Einige Sekunden verstrichen, ehe Bob einen Schritt auf die Psychologin zutrat und ihr die Hand entgegenstreckte.
»Hi.«
»Hallo.«
Eine angespannte Stimmung lag in der Luft. Beide schien diese Begegnung mit Unbehagen zu erfüllen.
Bob blickte sich suchend im Garten um und deutete schließlich auf einen Pavillon. »Wollen wir uns vielleicht dort hineinsetzen?«
Mrs Franklin stieß einen schweren Seufzer aus. »Gut, einverstanden.«
Schweigend gingen die beiden nebeneinanderher auf den Pavillon zu. Soweit es Bob überblicken konnte, befand sich sonst kein Patient im Garten. Lediglich Schwester Whitney verharrte entfernt auf der Bank und verfolgte jede ihrer Bewegungen mit kritischem Blick.
Der Pavillon war nur spärlich eingerichtet. Außer einem runden Holztisch, um den sich vier Klappstühle gruppierten, war nichts weiter darin vorhanden. Wortlos ließ sich Mrs Franklin auf einen Stuhl sinken, während ihre rechte Hand aus der Latzhose ein Feuerzeug und eine Zigarettenschachtel hervorzog. Mit zitternden Fingern steckte sie sich eine Zigarette an, blies den grauen Qualm in die Luft und zwang sich zu einem verkrampften Lächeln.
»Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass wir uns jemals wiedersehen. Und schon gar nicht in dieser Umgebung.«
Bob biss sich auf die Unterlippe. »Ich muss gestehen, dass es mir nicht anders geht.«
Er saß der Psychologin gegenüber und musterte ihr Äußeres. Seit ihrer letzten Begegnung hatte sie sich verändert: Statt ihrer schulterlangen Haare, die sie öfters zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, trug sie nun eine stoppelige Kurzhaarfrisur. Auch von ihrem üppigen Schmuck schien sie sich getrennt zu
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