Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
nicht ein Zersetzungsprozeß, der den Blutlauf erstarrt?«
Der Major empfand einen Stoß an seinen Ellenbogen: »Pst! Laforest wirst schon lange von seinem Ofen her beobachtende Blicke.«
»Mag er es!« rief der Major aufstehend. »Lieber ihm in den Rachen, als da dem neuen Rhinoceros.«
Das neue Rhinoceros war der eben eingetretene Legationsrath von Wandel, eine Sonne, die sofort ihre Trabanten hatte.
»Ich kann den Menschen nicht leiden, ich weiß nicht warum,« sagte der Major.
»Das geht Anderen auch so, Herr von Eisenhauch, zum Exempel unserm Minister. Bovillard möchte ihn gar zu gern in unsern Staatsdienst ziehn, Excellenz haben aber eine unwiderstehliche Aversion.«
»Ist es denn wahr, daß er die sieben Adler von Napoleon hergebracht hat?«
»So ist es.«
»Dann ist's ja klar, er ist eine französische Kreatur.«
»An dem Herrn ist mir noch nichts klar.«
»Mir scheint er gefährlich.«
»Ist's Ihnen darum zu thun, Aufklärung über den Punkt zu erhalten, lassen Sie uns zu Laforest gehen. Der Kreis um ihn lichtet sich.«
»Sie warnten mich eben vor ihm.«
»In seinem Rayon ist man wenigstens vor seinen Spionen geschützt. Es ist sogar gut, daß Sie sich ihm arglos zeigen.«
»Wie sollte er aber dazu kommen, uns Aufschlüsse zu geben?«
»Er gehört nicht zu den zugeknöpften Diplomaten. Ueberdem ist er jetzt satt. Bonaparte's Gesandter hat, was er will, hier erreicht. Er kann den nonchalanten Plauderer spielen. Er kann nicht allein den Rock aufknöpfen, auch das Hemde aufreißen, damit wir seine Brust schlagen sehen. Die gewinnende Vertraulichkeit wird auch wohl noch zum Leimstock für eine harmlose Fliege. Wie vergnügt Alle von ihm fortgehen! Trauen Sie keinem seiner Worte, und doch ist es möglich, daß er uns die reinste Wahrheit schenkt. Denn ob er mit ihr, oder mit der Lüge uns täuscht, ist ihm gleichgültig. Uebrigens weiß er alles, was hier geschieht und früher und genauer als der Polizeipräsident. Was der König beim Frühstück geäußert, läßt er schon am Mittag chiffriren. Er kennt die Anträge der Minister, die nicht bis zum Könige durchgedrungen sind, weil die Kabinetsräthe Widerstand leisten, und ehe noch Seine Majestät eine Sylbe davon erfahren, fliegt der Courier damit schon nach Paris.«
»Warum macht man Laforest nicht zum Minister des Auswärtigen?«
»Besser des Innern. Der russischen Fürstin ward vorgestern ein Brillanthalsband gestohlen. Die Polizei suchte umsonst. Er hat es gefunden. Gestern erhielt die Fürstin das Band, heut die Gerechtigkeit die Diebe.«
»O wer den Dieb, der Deutschlands Heiligthum gestohlen, der Gerechtigkeit überlieferte!« seufzte der Major. »Ob wir uns auch an die fremde Diplomatie werden wenden müssen?«
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Der Diplomat.
Die Unterhaltung mit Laforest ward natürlich französisch geführt. Der Gesandte pikirte sich dann und wann eine barocke deutsche Phrase einzuschalten. Es klang so vertraulich und so abscheulich; er war von der besten medisirenden Laune.
»Excellenz scheinen sich zu amüsiren.«
»Vortrefflich,
où peut-on être mieux qu'an sein
der illüstren Geister dieser Residenz.«
»Die Dame des Hauses kann von besonderem Glück sagen, wenn Herr von Laforest so lange in ihrer Gesellschaft verweilt,« sagte Herr von Fuchsius.
»Ein Gesandter muß beobachten.«
»Da Preußen in den letzten Monaten in Brüssel und Paris war,« bemerkte der Major, »hatte Frankreichs Gesandter allerdings wenig aus dem verlassenen Berlin zu berichten.«
»Sagen Sie das nicht, mein Herr Baron. Den Kaiser interessiren die inneren Bewegungen Ihrer Kapitale mehr, als Sie denken. Vor seinem durchdringenden Blicke ist kein Winkel in Madrid und Konstantinopel verborgen, aber in Deutschland, diesem Lande der Ideen und Schulen, sind ihm überall Querzäune, Hecken und Gräben gezogen. Er hat sich oft darüber geäußert. Wenn er über Reuß-Greitz im Klaren zu sein glaubt, gewahrt er plötzlich, daß es in Reuß-Schleitz ganz anders aussieht. Hier verehren sie Schiller, dort Goethe. Dort Kant, hier Fichte. Hier gilt schon etwas für Dummheit und Aberglauben, was dort noch gefährliche Aufklärung ist. Feine Conjekturalpolitik, logische Schlüsse reichen auf dies Land der Mannigfaltigkeiten nicht aus. Da stampft er mit dem Fuß, schreibt eigenhändig Marginal-Bemerkungen: Warum dies? Warum das? – Ein französischer Gesandter an einem deutschen Hofe wüsste eigentlich erst auf deutsche Schulen gehen, wenn er
Weitere Kostenlose Bücher