Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Sein Händedruck war elastisch, ein kräftiges Willkommen! tönte Louis entgegen.
»Du siehst ja wie das Morgenroth aus! Und doch unter Büchern verpackt. – Und da eine neue literarische Arbeit!«
»Dazu ist nicht Zeit jetzt!«
»Nun, wozu denn?«
Louis warf sich auf den Stuhl am Arbeitstisch und ergriff das Concept. Er las – las weiter, und warf plötzlich den Hut vom Kopf, daß er auf die Erde rollte: »Plagt Dich der –! Lasten der Bauern, Vorspann, Naturalverpflegung der Kavallerie! ›Und alles das noch auf das verkümmerte Dasein einer Menschenklasse geworfen, welche unter dem Joch der Leibeigenschaft seufzt, die, wie milde sie auch immerhin gehandhabt werde, das Gefühl der Menschenwürde niederdrückt. Unter Hand- und Spanndiensten für den Edelmann, gemessenen und ungemessenen Frohnen, ohne Selbstgefühl, Freiheitsgefühl, ohne Eigenthum, ohne Liebe zur Scholle, an die er gefesselt, ohne Sicherheit für die Vortheile, welche sein Fleiß erringt, wie soll da das heiligste Gefühl, die aufopfernde Liebe für's große Vaterland erstarken!‹ – Was hast Du denn mit den Gefühlen der Bauern zu thun?«
»Unsere Gefühle werden darin dieselben sein.«
»Wir machten uns wenigstens Beide über Ifflands tugendhaste Bauern lustig.«
»Ich rede von unserm realen Bauernstande.«
»Wahrhaftig!« rief Louis weiterblätternd. »Willst Du ein Thomas Münzer, oder ein Gracche werden? Was willst Du eigentlich?«
»Es interessirt Dich heut wohl nicht. Ein ander Mal.«
»Das könnte dann zu spät werden.«
»Weil Alle zu spät handeln, ist's jedes Rechtlichen Pflicht, zu sprechen, so lange es noch Zeit ist.«
»Ja! Du schreibst eine Dissertation, willst wohl promoviren, ein Kameralistikum in Halle lesen. Steck's nur den Jungen in die Köpfe, dann schießt's wild auf als Unkraut, und reif wird's grade, wenn's nicht mehr Zeit ist. Das ist der deutsche Entwicklungsgang.«
»Ich will nicht dociren. Ich will's deutsch sagen, was ich denke. Und ich denke nicht an die Zuhörer, aber an die Sache. Und die Sache ist nicht mein, sie ist unser Aller. Diese Gedanken fluktuiren in tausend Geistern. Sie stöhnten und ächzten schon längst selbst in der trägen Masse. Nach einer Besserung, Erlösung sehnten sich Alle. Weil die Gräuel in Frankreich seitdem auch die Besten in bleichen Schreck versetzt, ist darum das Licht nicht Licht, weil es einmal geblendet hat? Sollen wir das Feuer nicht mehr nutzen zum Wärmen, Sieden, Schmelzen, weil es einmal zur Feuersbrunst aufloderte? Diese Ideen leben noch in unserer Nation, und wo kein Anderer ihm zuvorkommen will, ist der Schwächste stark genug, er hat die Pflicht, mit ihnen hervorzutreten. Mag dann draus werden, mag aus ihm werden, was da will!«
»Wenn sie's nur läsen! – Hast Du noch nicht die Hoffnung auf diese Zöpfe und Perrücken aufgegeben? Das beste noch, wenn ein Minister ausruft: Da ist auch wieder Einer, der's besser verstehen will als wir!«
»Es sind nicht Alle, wie –«
»Mein Vater. Kennst Du die Andern? Der Beste wird Dir zurufen: Das ist Alles recht schön, aber nicht an der Zeit. Im Augenblick, wo die Renner zum Wettlauf gesattelt werden, ist nicht Zeit eine Vorlesung anzuhören über die Veredelung der Pferde racen.«
»Und Du auch meinst, wie die Tausende und Abertausende, daß wir nur berufen sind, über Schiller und Goethe zu streiten, nur in die Tiefen der Mystik und der Metaphysik uns zu versenken! Andere für uns handeln lassen, das wäre unsre Destination. Louis, wir hatten Wartburg-Krieg von Minnesängern, aber von derselben Wartburg leuchtete Luthers Fackel über Europa! –«
»Das war ein Mirakelmann, aus der Zeit der Wunder. Wir leben unter Wichtelmännern; in einem verschütteten Bergwerk suchen sie mit der Laterne nach Glimmer und Spießglas. Die edlen Erze sind längst gefördert und kursiren als Scheidemünze.«
»Wir hier haben noch Kräfte, nur ungeordnete, sie sind überlastet, man hat sie aus dem Auge verloren. Nur dran hinzuweisen braucht es, daß sie gähren, kochen, zum hellen Kristall aufschießen. Dazu ist kein Mirakelmann, nur ein guter Schürmeister nöthig. Wir haben einen jungen Fürsten, der das Rechte will und bange ahnt, wo das Schlechte liegt, aber eine dicke Atmosphäre, nenn's eine elastische Mauer, hat sich um ihn gesetzt. O Gott, daß die frischen Lüfte, die Lichtblitze endlich zu ihm drängen! Da ist's Jedes Pflicht, da ist Niemand zu gering, zu schwach, der eine Stimme hat, zu sprechen; wer malen kann, der
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