Ruhe Sanft
Stimme, belegt vom stundenlangen Weinen, kam durch die Tür. »Ich bringe mich um.«
Mark heulte auf. »Mom!«
Wetzon schob Mark von der Tür fort. »Warte in der Küche und halte den Tee warm.« Er sah sie wehleidig an. »Na, los.« Sie wartete, bis er weg war. »Smith, laß den Quatsch sein und mach sofort die Tür auf.« Sie rüttelte am Türgriff. Die Tür war abgeschlossen. »Mach schon, meine Freundin, sag etwas. Ich habe dir soviel über gestern zu erzählen.« Keine Antwort. »Natürlich, wenn du es nicht hören willst...« Sie hörte ein kleines Geräusch hinter der Tür. Einen Schritt. Der Schlüssel drehte sich im Schloß, aber die Tür ging nicht auf.
Wetzon öffnete die Tür. Das Zimmer war eine einzige Unordnung. Smith stand zerzaust und aufgelöst in einem abgerissenen gestreiften Bademantel da. Ihr Haar war wild und ungekämmt. Sie sah ausgemergelt aus, magersüchtig. Sie schwankte, und Wetzon fing sie auf.
»Du lieber Gott, Smith, was ist denn passiert?« Das Bett sah wie ein Schlachtfeld aus. Decken halb auf dem Boden. Kissen über das ganze Zimmer verstreut. Ein Glas auf dem Nachttisch war umgekippt. Auf dem Teppich in der Nähe ein dunkler nasser Fleck. Ein Aschenbecher quoll vor Zigarettenkippen über. Kleidungsstücke und Handtücher bedeckten den Boden. Wetzon mußte eine Hindernisbahn aus Zeitschriften und Schuhen überwinden, um Smith zum Bett zu bringen. Sie versuchte, das zerwühlte Laken glattzuziehen, gab es auf und ließ Smith aufs Bett sinken. Als Wetzon die Decke in Ordnung brachte, fand sie ein Make-up-Täschchen aus Plastik und einen elektrischen Rasierapparat. Schließlich deckte sie Smith zu und setzte sich ihr gegenüber auf die Bettkante.
Smith stöhnte.
»Also, Smith, was zum Teufel geht hier vor?« Wetzon streckte die Hand aus und strich Smith’ dunkle Locken glatt. Smith schwieg und hielt den Blick gesenkt. »Ich gehe auf der Stelle weg, ohne dir ein Wort zu sagen, was mir gestern...« Sie stand auf. Smith streckte eine knochige Hand aus und griff nach Wetzons Hemd. »Also gut, dann sag etwas.«
»Leon hat uns verraten«, flüsterte Smith.
»Was? Wie?«
»Er hat ein Verhältnis mit Arleen Grossman.«
Wetzon rief den Anrufbeantworter im Büro an und hinterließ eine Nachricht, daß sie später kommen würden. »Woher weißt du, daß Leon und Arleen Grossman ein Verhältnis haben?«
Smith hatte geduscht und trug ihren grellrot und schwarz gemusterten Morgenrock. Sie hatte sich wunderbarerweise wiederhergestellt. »Ich weiß es.« Sie setzte sich an den Frisiertisch, nachdem sie ein buntes Sortiment Unterwäsche weggefegt hatte, und starrte ihr Gesicht an. Sie zog den Fön aus dem Durcheinander auf dem Tisch, wobei ein Lippenstift und zwei Schildpattkämme auf den Teppich fielen, und schaltete ihn an.
Mark brachte ein Bambustablett mit Tee und frisch gepreßtem Orangensaft. »Ich habe den Saft durch das Sieb gegeben, genau wie du ihn magst, Mom.« Wetzon lächelte ihm zu und nahm ein Glas Orangensaft. Er wartete geduldig, daß Smith ihres nähme, aber als sie es nicht tat, setzte er das Tablett auf dem Teppich neben ihr ab.
»Gib deiner Mama einen dicken Kuß, mein Schatz«, sagte Smith durch das Surren des Föns. »Jetzt sei so lieb und hole uns ein Dutzend gemischte Croissants und Muffins... du weißt, wo das Geld liegt.«
»Klar, Mom.« Mark küßte sie auf die Wange, und die heiße Luft vom Fön blies seine dunklen Locken gegen ihre. Ihr Haar war von genau demselben tiefen Braun.
»So ein süßer kleiner Kerl«, murmelte Smith, indem sie ihr Haar aufplusterte. Sie schaltete den Fön aus und ließ ihn wieder auf den Frisiertisch fallen.
»Ich nehme an, du bildest es dir ein — oder hast du es in den Karten gelesen?« Wetzon saß am Fußende des Bettes und trank Orangensaft.
Smith schüttelte störrisch den Kopf und zog eine mauve Seidenbluse und ihr pflaumenblaues Donna-Karan-Kostüm an. »Ist es kalt draußen?« Sie nahm das Glas Orangensaft und trank einen Schluck.
»Nicht so wie gestern. Gestern war es mörderisch.« Verdammt. Wetzon fragte sich, ob ihre Alltagssprache immer so voll von solchen blutrünstigen Ausdrücken war, oder ob sie in ihrem Unterbewußtsein trieben und immer dann an die Oberfläche kamen, wenn sie in einen Mord verwickelt wurde.
Smith saß wieder am Frisiertisch und puderte ihr Gesicht ganz leicht mit einer langen Zobelquaste. »Also was hast du mir zu berichten? Ich möchte es hören.«
»Erzähle mir erst, warum du dir mit Leon
Weitere Kostenlose Bücher