Ruhe Sanft
nächsten Reifen, dann hüpfte er hin und her und hielt sich den Fuß.
Wetzon lachte. Er sah zu albern aus.
»Ich finde das nicht komisch, Wetzi.« Er rannte zur Brighton Beach Avenue zurück, und sie folgte ihm mit Riesenschritten.
»Darf ich? Ja, du darfst«, sagte sie. Sie wollte noch ein Schlückchen Cognac, und er hatte die Flasche. Die Polizeiautos und die Ambulanz waren abgefahren. Brighton Beach war totenstill. »Totenstill«, sagte sie.
»Was redest du da für einen Scheiß?« Teddy ging im Kreis herum, stampfte mit den Füßen auf und war außer sich. »Wie zum Henker sollen wir mitten in der Nacht zurückkommen?«
»Cognac.« Wetzon streckte die Hand aus.
»Und diese verdammte alte Lesbe haut ab und läßt uns stehen.«
»Sie wußte nicht...« Er starrte sie an, und sein Blick war blind vor Wut. »Himmel, Teddy.«
Er zog die Cognacflasche heraus und nahm einen gewaltigen Schluck. »Hier, behalte sie.«
»Wir könnten ein Taxi nehmen«, schlug sie vor und setzte die Flasche an.
»Ein Taxi? Ach, wirklich? Wir nehmen uns ein Taxi, einfach so, hier draußen mitten in der Nacht. In der Gegend gibt es nicht mal ein Scheißmünztelefon.«
Er hatte natürlich recht. Sie nahm einen Schluck Cognac, korkte die Flasche zu und stopfte sie in den Rucksack. Sie sah die Straße hoch und blinzelte. Eine Fata Morgana kam auf sie zu. Ein Taxi mit dem Licht in der Mitte an.
Sie stieß Teddy an und zeigte darauf. »Heiliger Bimbam, das darf nicht wahr sein«, rief er, rannte auf die Straße und winkte es heran.
Ketten klirrten auf der schneefreien Straße, als der Wagen langsam abgebremst wurde. Sie liefen zur Tür, öffneten sie und krochen hinein.
»Wo kann ich Sie hinbringen?« sagte die Fahrerin freundlich, indem sie sich zu ihnen umdrehte.
Es war Judy Blue.
Es war eine Benefizvorstellung für russische Dissidenten an der Musikakademie von Brooklyn. Sie tanzte einen eigenartigen Pas de deux mit Ilena Milanova, Ilena in durchsichtigem rotem Chiffon, Wetzon in Weiß. Zwar schienen ihre Füße die Schritte zu kennen, doch war die Musik ungewohnt. Sie und Ilena waren vollkommen in Einklang. Bärtige Tänzer in schwarzen Strumpfhosen, weißen Hemden und Fliegen schwebten mit roten Lacktabletts voller Heringe vorbei. Aktienzertifikate hingen an ihren Unterarmen wie Servietten. Sie war stolz, mit Ilena tanzen zu dürfen.
Plötzlich brach das Orchester ab. Wetzon sah auf. Um Himmels willen, Leon dirigierte das Orchester. Er schüttelte den struppigen grauen Kopf, als wäre er Leonard Bernstein, schob die Brille auf der Nase hoch und klopfte mit seinem Stab auf das glitzernde Pult. Die Musik setzte mit »I Got Rhythm« wieder ein.
Ihre Füße in Mary-Jane-Stepschuhen aus Lackleder begannen den Step, den sie als Kind getanzt hatte. Sie wandte sich ihrer Partnerin zu. Es war Judy Blue.
»Was machen Sie denn hier?« fragte Wetzon, ohne einen Schritt auszulassen. »Ich wußte nicht, daß Sie tanzen können.«
»Sie verpassen alles, liebes Mädchen«, sagte Judy Blue. »Behalten Sie den Dirigenten im Auge.«
Wohin war Ilena gegangen?
Sie beendeten die Nummer mit einem Schleifer. Harvey Lichtenstein, den Wetzon kannte, weil er die Musikakademie von Brooklyn leitete und Tanztrupps sehr förderte, stand mit schwarzem Schlips an der Seite und sprach mit Smith. Er nickte Wetzon zu.
»Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte Smith. »Du legst dein Geld in Aktien an. Wenn der Markt nachgibt, hast du nichts.«
»Du hast mich.« Silvestri streckte die Hand nach ihr aus. »Wirklich?« fragte Wetzon.
»Du hast mich«, rief Carlos von der anderen Bühnenseite. »Wenigstens im Augenblick.«
»Ich verbeuge mich für dich«, sagte Smith und lief auf die Bühne hinaus.
Wetzon lief mit klickenden Absätzen hinter ihr her. »Nein, nein!« Smith trug Wetzons Kostüm und verneigte sich, als habe sie die Nummer getanzt.
Eine Falltür tat sich unter Wetzons Füßen auf, und sie stürzte hinab. »Silvestri«, schrie sie und griff nach seiner Hand. Aber er war nicht da. Sie klammerte sich an die Bühne, wo die Falltür aufgegangen war, und ihr Körper schwang frei im Raum.
»Wo willst du hin?« fragte Teddy, der oben kniete.
»Teddy, bitte hilf mir«, weinte sie.
»Tut mir leid. Muß einem Hinweis nachgehen.«
Die Lichter gingen aus, und jemand trat auf ihre Hand. Sie schrie auf vor Schmerz, ließ los und stürzte in den leeren Raum.
Eine Sirene heulte.
Sie wachte um sich schlagend auf. Ihr Wecker läutete. Halb sieben. Sie blieb
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