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Ruhe Sanft

Ruhe Sanft

Titel: Ruhe Sanft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
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treffen, etwas zu erfahren und nach Hause zu gehen. Es war ein langer Tag gewesen, und nun war es eine noch längere Nacht. Vielleicht sollte sie sich einfach auf den Boden setzen, bis das Licht anging oder bis Teddy sie fand. Falls er zum Schneideraum gegangen war, würden sie ihm sagen, daß sie ihn gesucht hatte. Bei diesem Gedanken mußte sie fast lachen. Diese arbeitseifrige Gruppe würde bestimmt nicht daran denken, es ihm zu sagen.
    Ach, hol’s der Teufel. Sie beruhigte sich und tastete nach dem Rahmen der Tür zu dem Büro gegenüber dem abgeschlossenen. Vielleicht war das Teddys Büro. »Teddy?« Sie hielt sich am Türrahmen fest. Die Tür stand halb offen. »Teddy?« Sie machte einen Schritt vorwärts und tastete sich langsam in das Zimmer vor, streifte einen Aktenschrank, stieß an ein anderes Hindernis aus Metall. »Scheiße!« Sie wandte sich um und stolperte über etwas Rundes und Hartes auf dem Boden und fiel gegen einen Stuhl. Sie ließ sich schwer darauffallen.
    Na schön, vielen Dank, sie würde einfach hier sitzen bleiben und warten, bis das Licht anging. An der Stuhllehne war etwas Nasses, Klebriges. Sie wischte ihre Hand am Mantel ab. Wahrscheinlich verschüttete Cola oder Bier. Worüber war sie bloß gestolpert? Sie streckte die Hand nach unten und tastete herum. Da war es auch naß. Ihre Hand berührte einen schmalen, runden Gegenstand, und sie hob ihn auf. Er war lang und schwer. Und heiß. Sie ließ ihn stirnrunzelnd und verblüfft fallen.
    Plötzlich ging das Licht grell und blendend an.
    Es war eine optische Täuschung. Sie saß in einem Raum, der gerade mit nasser roter Farbe angestrichen worden war.
    Rote Farbe hatte sich über den Schreibtisch vor ihr ergossen. Rote Farbe vermischte sich mit anderen Sachen. Sie wunderte sich über die Unordnung, die Teddy in seinem Büro hinterlassen hatte, aber sie konnte ihn selbst fragen, weil er da war und nach etwas unter seinem Tisch suchte.
    »Teddy...« Sie stand auf. Sie konnte seine Schultern im Parka sehen. Eine Hand umklammerte rote Papiere auf der Platte seines Schreibtischs inmitten der roten Masse aus Knochen und Hirn und Haar, die einmal sein Kopf gewesen war.

»Sie haben einen Knopf verloren, Miss?« Eine sonore Stimme durchdrang den Nebel, der sie warm umhüllte. Eine Männerstimme.
    »Bitte gehen Sie«, murmelte Wetzon, indem sie den Kopf von den Armen hob, aber ohne die Augen zu öffnen.
    »Sie!« Eine Frauenstimme diesmal. Jemand schüttelte sie nicht gerade sanft an den Schultern.
    »Kommen Sie, Ms. Watson, wird’s bald?« Die Männerstimme wieder.
    Sie sträubte sich, die Augen zu öffnen. Wenn sie es nun wieder sah? Teddys kopfloser Körper. Teddy — ihr Freund Teddy Lanzman. Sie schlug die Augen auf. Jetzt erinnerte sie sich, wo sie war. Das Revier.
    Irma Ignacio — Detective Ignacio — stellte einen weißen Styroporbecher vor sie hin. »Trinken Sie. Dann fühlen Sie sich besser.«
    Wetzon griff den Becher mit beiden Händen und führte ihn an die Lippen. Heißer Kaffee. Sie inhalierte den Dampf des Getränks und vertrieb so die Watteballen aus ihrem Kopf — wenigstens kam es ihr so vor. Ihre Hände waren kalt, und sie wärmte sie an dem Becher, bevor sie das Getränk, sicher das reine Koffein, schluckte.
    Eine gesteppte Daunenjacke, nicht ihre eigene, lag ihr urn die Schultern. Sie strengte sich an, sich zu konzentrieren, stellte den Becher auf den zerkratzten Holztisch und sah zum erstenmal den Mann an, der sie angesprochen hatte. Er saß auf der Kante des Schreibtischs, den einen Fuß auf dem Boden, den anderen schwang er hin und her, rauchte, beobachtete sie.
    »Wer sind Sie?« Sie erinnerte sich, daß sie ihn bei den anderen Detectives gesehen hatte, aber sie hatte nicht mit ihm gesprochen. Irma Ignacio hatte sie interviewt. Interviewt? Also wirklich, Wetzon, dachte sie, jetzt nimm mal deine fünf Sinne zusammen. Ausfragen oder verhören, das waren hier die passenden Wörter.
    »Morgan Bernstein, Detective Sergeant.«
    »Wo ist mein Mantel?« fragte sie und strich sich mit dem Handrücken die Haare aus dem Gesicht. Ihre Stimme klang weinerlich. Sie hatten ihr die Fingerabdrücke abgenommen, und dann hatte jemand ihre Hand mit dünnem Wachs bestrichen; der Paraffintest gehörte in solchen Fällen zur Standardprozedur, hatten sie ihr gesagt. Das würde sie sofort als Verdächtige eliminieren. Sie hatte danach die Hände waschen können, aber es war ihr immer noch unheimlich, als wäre doch noch Teddys Blut daran.

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