Ruhelos
dem Innenspiegel an, hob den Revolver auf und benutzte dazu ihr Taschentuch, um Fingerabdrücke zu vermeiden. Dann öffnete sie seine Jacke und schob den Revolver in sein Achselhalfter. Es floss noch immer kein Blut, kein einziger Tropfen, nur das Ende des Bleistifts ragte aus dem starren Auge heraus.
Sie durchsuchte seine Taschen und fand die Brieftasche mit seiner Karte: Vize-Inspektor Luis de Baca. Auch etwas Geld fand sie, einen Brief und einen Kassenbon von einem Eisenwarenladen in Ciudad Juárez. Sie schob alles zurück. Ein mexikanischer Polizist wäre beinahe ihr Mörder geworden. Aber welchen Sinn sollte das haben? Sie knipste das Licht aus und überlegte weiter. Für kurze Zeit konnte sie sicher sein, so viel war klar. Sie konnte sich auf die eine oder andere Weise zu ihren Leuten durchschlagen, aber erst mussten die Spuren beseitigt werden.
Sie stieg wieder aus und ging umher, um nachzudenken, einen Plan zu fassen. Der Mond war nur eine schmale Sichel und spendete kein Licht, es wurde immer kälter. Als sich ein rumpelnder Lastwagen näherte, legte sie die Arme um ihren Körper und hockte sich hin, der Scheinwerferkegel strich über sie hinweg. Langsam nahm ein Plan Konturen an, sie zwang sich, weiterzugrübeln, Varianten zu überlegen, jedes Detail zu durchdenken, das Für und Wider abzuwägen. Sie öffnete den Kofferraum und fand einen Ölkanister, ein Seil und einen Spaten. Im Handschuhfach lagen eine Taschenlampe, Zigaretten und Kaugummi. Es schien sein eigenes Auto zu sein.
Sie lief die paar Schritte bis zur Kurve und stellte mithilfe der Taschenlampe fest, dass die Schlucht nur eine Flutrinne von etwa sechs Metern Tiefe war. Darauf ging sie zum Wagen zurück, startete, schaltete das Licht ein und fuhr bis zu der Stelle, wo die Straße abbog. Sie gab Gas, dass die Räder durchdrehten und der Schotter flog, verließ die Straße, fuhr langsam an den Rand der Schlucht und zog die Handbremse an. Nach einem letzten prüfenden Blick nahm sie ihre Tasche, stieg aus und löste die Handbremse. Das Auto rollte langsam los, sie rannte zum Heck und schob. Es kippte über den Rand der Schlucht, sie hörte das dumpfe Krachen und das Splittern der Frontscheibe, als es unten aufschlug.
Mit der Taschenlampe bahnte sie sich einen Weg hinunter zum Wrack. Ein Scheinwerfer brannte noch, die Motorhaube war verbogen und aufgesprungen. Es roch noch auslaufendem Benzin, das Auto war halb zur Beifahrerseite übergekippt. Es gelang ihr, die Fahrertür zu öffnen und den vierten Gang einzulegen. Luis de Baca war beim Sturz vornübergefallen und mit der Stirn gegen das Armaturenbrett geprallt. Ein kleines Rinnsal aus Blut floss nun aus seinem Auge in den Schnauzbart, von dem aus es auf sein Hemd zu tropfen begann. Sie zerrte ihn auf die Fahrerseite. Offenbar hatte er sich ein Bein gebrochen, es bildete einen unnatürlichen Winkel. Gut so, dachte sie.
Sie zog die Mexiko-Karte aus ihrer Tasche und riss sorgfältig eine Ecke ab, so dass man nur noch »LUFTVERK« lesen konnte und die Fluglinien nach San Antonio und Miami sah. Den Rest steckte sie in die Tasche zurück, dann nahm sie ihren Füller, breitete die abgerissene Ecke auf der Motorhaube aus und schrieb auf Deutsch: »Wo befinden sich die Ölreserven für den transatlantischen Verkehr?« und »Der dritte Gau scheint zu groß zu sein.«. Am Rand addierte sie ein paar Zahlen: 150.000 + 35.000 = 185.000, dazu kamen ein paar bedeutungslose Zahlen- und Buchstabenkombinationen – LBF/3, XPD 77. Sie wischte mit dem Papierfetzen über de Bacas blutbesudeltes Hemd, knüllte ihn zusammen und schob ihn unter den Schuh seines unversehrten Beins. Die dreitausend Dollar versteckte sie im Handschuhfach unter einer Straßenkarte und dem Bedienungshandbuch. Dann wischte sie mit dem Taschentuch ihre Fingerabdrücke weg, mit besonderer Sorgfalt am Lenkrad und am Ganghebel. Schließlich richtete sie de Baca auf und lehnte ihn ans Lenkrad, so dass sie sein Gesicht sehen konnte. Sie wusste, dass jetzt der härteste Teil der Arbeit kam, aber sie war so vertieft in die Fingierung des Unfalls, dass sie fast automatisch handelte, mit gut durchdachter Präzision. Sie verstreute ein paar Splitter der Frontscheibe über seiner Leiche, dann brach sie einen verbogenen Scheibenwischer ab und entfernte den Wischergummi.
Sie griff nach dem Ende des Bleistifts, der in seinem Auge steckte, und zog ihn heraus. Er ließ sich leicht bewegen, wie geölt, und mit ihm kam das Blut herausgesprudelt und ergoss
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