Ruhelos
direkt in die Augen und hoffte, ihm damit klarzumachen: Ich mag Sie nicht und Ihren widerwärtigen Club, und ich habe nicht die geringste Angst vor Ihnen.
»Auf Wiedersehen«, sagte ich, drehte mich um und ging vorbei an dem Bentley, dem ein uniformierter Chauffeur entstiegen war, um den Wagenschlag zu öffnen.
Während ich mich entfernte, machten sich merkwürdig gemischte Gefühle in mir breit: Einerseits empfand ich Genugtuung, weil ich den Mann getroffen hatte, der im Leben meiner Mutter eine so wichtige Rolle gespielt hatte, und weil es ihm nicht gelungen war, mich einzuschüchtern. Andererseits ärgerte ich mich ein wenig über mich selbst, weil ich fürchtete, die Begegnung nicht richtig angepackt, nicht optimal genutzt, Romer die Initiative überlassen zu haben. Ich hatte mich zu sehr nach ihm gerichtet statt umgekehrt – aus irgendeinem Grund hatte ich ihn aggressiver angehen wollen. Aber meine Mutter war beharrlich dabei geblieben: Geh nicht zu weit, lass nichts von dem durchblicken, was du weißt, erwähne nur AAS Ltd., Devereux und die BSC – das reicht aus, um ihn aus der Ruhe zu bringen, seinen Schönheitsschlaf zu stören, hatte sie gesagt, mit ein wenig Bosheit in der Stimme. Also hoffte ich, ihren Wunsch erfüllt zu haben.
Gegen neun Uhr abends war ich zurück in Oxford und holte Jochen von Veronica ab.
»Warum warst du in London?«, fragte er, als wir die Treppe zur Küche hinaufstiegen.
»Ich habe einen alten Freund von Granny besucht.«
»Granny sagt aber, sie hat keine Freunde.«
»Das war einer, den sie von ganz früher kennt«, erklärte ich und ging zum Telefon im Flur. »Geh und zieh deinen Schlafanzug an.« Ich wählte die Nummer meiner Mutter. Sie meldete sich nicht, also wählte ich erneut, unter Beachtung ihres albernen Codes, und sie meldete sich wieder nicht. Ich legte den Hörer auf.
»Wollen wir ein kleines Abenteuer wagen?«, sagte ich und versuchte, meine Stimme heiter klingen zu lassen. »Was hältst du davon, wenn wir zu Granny fahren und sie überraschen?«
»Das wird sie nicht freuen«, sagte Jochen. »Sie hasst Überraschungen.«
Als wir in Middle Ashton ankamen, sah ich mit einem Blick, dass das Cottage dunkel und ihr Auto verschwunden war. Ich schaute unter den dritten Blumentopf links neben dem Eingang, da ich mir plötzlich große Sorgen machte, holte den Schlüssel heraus und ging hinein.
»Was ist los, Mummy?«, fragte Jochen. »Ist das eine Art Spiel?«
»Könnte man sagen.«
Alles im Cottage schien in Ordnung: Die Küche war aufgeräumt, das Geschirr abgewaschen, auf dem Wäscheständer im Bügelzimmer trocknete die Wäsche. Ich stieg die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf, Jochen hinter mir, und schaute mich um. Das Bett war gemacht, und auf ihrem Schreibtisch lag ein brauner Umschlag mit der Aufschrift »Ruth«. Ich wollte gerade nach dem Umschlag greifen, da sagte Jochen: »Schau mal, da kommt ein Auto.«
Es war meine Mutter in ihrem alten weißen Allegro. Ich kam mir dumm vor und zugleich erleichtert. Ich rannte hinunter, öffnete die Haustür und rief ihr zu, als sie aus dem Auto stieg: »Sal, wir sind’s. Wir wollten dich besuchen.«
»Was für eine nette Überraschung«, sagte sie voller Ironie und gab Jochen einen Kuss. »Ich kann mich nicht entsinnen, das Licht angelassen zu haben. Da ist aber jemand lange aufgeblieben.«
»Du hast gesagt, ich soll sofort anrufen, wenn ich zurück bin«, sagte ich, und es klang vorwurfsvoller und gekränkter als beabsichtigt. »Was sollte ich denn denken, als du dich nicht gemeldet hast!«
»Das muss ich vergessen haben«, erwiderte sie fröhlich und ging an mir vorbei ins Haus. »Möchte jemand Tee?«
»Ich habe Romer getroffen«, rief ich ihr nach. »Ich habe mit ihm gesprochen. Ich dachte, das würde dich interessieren. Aber es lief nicht gut. Ich würde sagen, er war sehr ungnädig.«
»Ich glaube, es war mehr, als er verkraften konnte«, sagte sie. »Ihr saht beide ziemlich frostig aus bei eurem Abschied.«
Ich stutzte. »Wie meinst du das?«
»Ich war draußen. Ich sah euch beide den Club verlassen«, sagte sie treuherzig, als wäre das die normalste Sache der Welt. »Dann bin ich ihm nachgefahren, und jetzt weiß ich, wo er wohnt: Walton Crescent 29, Knightsbridge. Ein großer weißer Stuckkasten. Nächstes Mal wird es leichter, an ihn heranzukommen.«
Die Geschichte der Eva Delektorskaja
New York 1941
Von einer Telefonzelle in Brooklyn, unweit ihres Fluchtquartiers, rief Eva bei
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