Ruhelos
wortlos. Erst als sie fertig war, bat er sie, die Geschehnisse zwischen dem Abschied von Raul und der Begegnung mit de Baca noch einmal zu wiederholen.
»Und jetzt erzähle ich, was in den Tagen danach passiert ist«, sagte er, als sie fertig war. »Der Sheriff von Dona Ana County wurde zu dem Unfall gerufen, den du gemeldet hattest. Sie fanden das Fragment der Landkarte und das Geld und benachrichtigten die FBI-Dienststelle in Santa Fe. Die Karte ging an Hoover in Washington, und Hoover persönlich hat sie dem Präsidenten auf den Schreibtisch gelegt.« Er schwieg einen Moment. »Niemand konnte sich einen Reim darauf machen, also stellten sie uns zur Rede, was nur natürlich ist, weil es da eine Verbindung zur brasilianischen Karte zu geben schien. Aber wie die Sache erklären? Den Tod eines mexikanischen Detektivs bei einem Autounfall nahe der Grenze. Dann eine beträchtliche Summe Geld und das Fragment einer Landkarte, auf Deutsch, mit potenziellen Luftverbindungen zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. Eine abgekartete Sache? Ein unglücklicher Zufall? Hatte der Mexikaner die Karte gekauft? Oder wollte er sie verkaufen, und die Sache ging schief? Wollte sie ihm jemand abjagen, bekam es mit der Angst und ist geflohen?« Er breitete die Hände aus. »Keiner weiß es. Die Ermittlungen dauern an. Die Hauptsache aber aus unserer Sicht – der BSC – ist, dass damit die Echtheit der brasilianischen Karte erwiesen ist. Unbezweifelbar.« Er lachte leise. »Das hättest du nicht voraussehen können, Eva, aber der einzigartige Coup in dieser Geschichte besteht darin, dass die Karte bei Roosevelt und Hopkins gelandet ist, und das ohne den Hauch eines Verdachts gegen die BSC. Vom County-Sheriff ans FBI, von Hoover ins Weiße Haus. Was tut sich da südlich der Grenze? Was führen die Nazis im Schilde mit ihren Fluglinien und ihren Gauen? Es hätte nicht besser laufen können.«
Eva dachte nach. »Aber das Material war minderwertig.«
»Für sie war es gut genug. Raul wollte die Karte einfach publik machen, an eine Lokalzeitung schicken. So war der Plan. Bis sich dein Plan durchsetzte.«
»Aber ich hatte keinen Plan.«
»Schon gut. Deine … Improvisation. Not ist die Mutter der Erfindung und all das.« Er blickte sie an, beinahe forschend, wie ihr schien, um zu sehen, ob sie sich irgendwie verändert hatte. »Die Hauptsache aber«, redete er weiter, »das Unglaubliche ist, dass alles hundertmal besser gelaufen ist, als wir zu hoffen gewagt hätten. Jetzt kann keiner mit dem Finger auf die Briten und die BSC zeigen und sagen: Wieder einer eurer schmutzigen Tricks, mit denen ihr uns in euren europäischen Krieg hineinziehen wollt. Sie haben die Sache selbst ausgegraben, in einem vergessenen Winkel ihres eigenen Hinterhofs. Was kann da der Bund noch sagen? Oder America First? Es ist nun sonnenklar: Die Nazis planen Fluglinien von Mexico City nach San Antonio und Miami. Sie lauern schon an deiner Schwelle, Amerika, das ist keine europäische Angelegenheit mehr – wach endlich auf.« Mehr brauchte er gar nicht zu sagen. Eva verstand schon, dass sich das ganze Geschehen zu einer einzig möglichen Deutung zusammenfügte.
»London ist überglücklich«, sagte er. »Das kann ich dir flüstern. Vielleicht bringt das die entscheidende Wende.«
Wieder spürte sie diese Müdigkeit, die sie zu Boden zog wie ein schwerer Rucksack. Vielleicht aus lauter Erleichterung, dachte sie. Ich brauche nicht zu fliehen, alles hat sich zum Guten gewendet – irgendwie, auf rätselhafte Weise.
»Okay. Ich komme ins Büro«, sagte sie. »Am Montag bin ich wieder da.«
»Gut. Es gibt viel zu tun. Transoceanic muss die Sache weiter verfolgen, auf allen Kanälen.«
Sie stieg von ihrem Barhocker, während Romer den Milchshake bezahlte.
»Die Sache war hochgefährlich, musst du wissen«, sagte sie mit einem Rest Bitterkeit in der Stimme.
»Ich weiß. Das ganze Leben ist hochgefährlich.«
»Wir sehen uns am Montag. Mach’s gut.« Sie wandte sich zum Gehen, voller Verlangen nach ihrem Bett.
»Eva«, sagte Romer und hielt sie am Ellbogen fest. »Mr und Mrs Sage, Algonquin Hotel, Zimmer 340.«
»Erzähl mir genau, was passiert ist«, sagte Morris Devereux. »Fang an mit deiner Abreise aus New York.«
Es war Montagmorgen, sie saßen in seinem Büro bei Transoceanic. Draußen herrschte kaltes Spätnovemberwetter, Schneeschauer waren angesagt. Eva hatte das Wochenende mit Romer im Algonquin verbracht. Den ganzen Samstag über hatte sie
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