Ruhig Blut!
Himmelwärts hörte das Po-
chen von Hufen al mählich näher kommen.
Er kniete im Schlamm und versuchte es mit einem Gebet, aber die
Antwort einer himmlischen Stimme blieb aus. Om hatte nie zu ihm ge-
sprochen, und von seinen Lehrern wußte er, daß er nicht damit rechnen
durfte. Auf diese Weise manifestierte sich Om nicht mehr. Von al en
Göttern war er der einzige, der die Antworten direkt in den Tiefen des
Kopfes entstehen ließ. Seit der Zeit des Propheten Brutha galt Om als
der stille Gott. So lautete die offizielle Wahrheit.
Ohne Glauben war man überhaupt nichts. Ohne Glauben existierte
nur die Dunkelheit.
Himmelwärts schauderte. Schwieg der Gott? Oder gab es niemanden,
der seine Stimme ertönen lassen konnte?
Er betete erneut, noch beharrlicher und verzweifelter, sprach Zeilen
aus Kindergebeten, verlor dabei die Kontrol e über Worte und Kontext.
Die Silben entschwebten ins Universum.
Regen tropfte vom Hut des Priesters.
Er kniete und wartete in der feuchten Dunkelheit, lauschte den eigenen
Gedanken, erinnerte sich und holte noch einmal das Buch Om hervor.
Und dann schuf er ein großes Licht.
Die Kutsche donnerte an Kiefern vorbei, die am Ufer eines Sees wuch-
sen. Sie stieß an eine besonders dicke Baumwurzel, verlor ein Rad, fiel
auf die Seite und rutschte noch einige Meter. Die erschrockenen Pferde
stoben davon.
Igor stand auf, humpelte zur Kutsche und hob eine Tür an.
»Tut mir fehr leid«, sagte er. »Daf paffiert immer, wenn der Herr nicht
mitfährt. Ift allef in Ordnung mit euch?«
Eine Hand packte ihn an der Kehle.
»Du hättest uns warnen können!« knurrte Nanny. »Wir sind hin und
her geschleudert worden! Wo sind wir jetzt? Ist dies Löschdurst?«
Ein Streichholz flammte auf, und Igor entzündete eine Fackel.
»Wir find in der Nähe def Schloffef«, sagte er.
»Des Schlosses?«
»Dort wohnen die Elftyrf.«
»Wir sind in der Nähe des Schlosses der Vampire?«
»Ja. Ich glaube, der alte Herr hat hier etwaf mit der Ftrafe angeftellt.
Die Kutsche verliert immer ein Rad, daf ift fo ficher wie daf Amen in der
Kirche. Daf bringt Befucher inf Schloff, meinte der alte Herr.«
»Und dir ist es nicht in den Sinn gekommen, uns rechtzeitig darauf
hinzuweisen?« fragte Nanny. Sie stieg aus und half Magrat.
»Bedauere fehr. Ef war ein anftrengender Tag…«
Nanny nahm die Fackel. Ihr Schein fiel auf ein primitives Schild, das
jemand an einen Baum genagelt hatte.
»›Bleibt dem Schloß fern! ‹« las Nanny. »Wie aufmerksam: mit einem
Pfeil, der die Richtung angibt.«
»Oh, dafür ift der alte Herr verantwortlich«, erklärte Igor. »Damit die
Befucher den richtigen Weg finden.«
Nanny spähte durchs Halbdunkel. »Und wer hält sich jetzt im Schloß
auf?«
»Einige Bedienstete.«
»Gewähren sie uns Einlaß?«
»Daf ift kein Problem.« Igor griff unter sein abscheuliches Hemd und
zeigte einen ziemlich großen Schlüssel, der an einem Bindfaden hing.
»Hast du etwa vor, das Schloß der Vampire zu betreten?« fragte Magrat.
»Es scheint hier weit und breit das einzige Gebäude zu sein«, sagte
Nanny und schritt über den Weg. »Die Kutsche ist ein Trümmerhaufen.
Wir sind meilenweit vom nächsten Ort entfernt. Sol das Baby die ganze
Nacht draußen verbringen? Ein Schloß ist ein Schloß. Es hat Schlösser.
Alle Vampire sind in Lancre. Und…«
»Ja?«
»Esme hätte eine solche Entscheidung getroffen. Ich fühle es in mei-
nem Blut.«
Nicht al zuweit entfernt heulte etwas. Nanny sah Igor an.
»Werwölfe?« fragte sie.
»Ja.«
»Dann dürfte es keine gute Idee sein, im Freien zu bleiben.«
Sie deutete auf einen Schriftzug in einem der Felsen.
»›Nehmt nicht diesen kürzesten Weg zum Schloß‹«, las sie laut. »So ei-
nen Verstand muß man bewundern. Er kannte sich gut mit der mensch-
lichen Natur aus.«
»Gibt es nicht mehrere Zugänge?« fragte Magrat, als sie an einem wei-
teren Schild vorbeikamen. Die Aufschrift lautete: »Haltet euch vom
Parkplatz für Kutschen fern, nach zwanzig Metern auf der linken Seite.«
»Igor?« fragte Nanny.
»Früher kämpften die Vampire gegeneinander«, erwiderte Igor. »Def-
halb exiftiert nur ein Zugang.«
»Oh, na schön, wenn’s unbedingt sein muß«, sagte Magrat. »Du nimmst das Schaukelpferd und den Beutel mit den gebrauchten Windeln. Und
die Teddybären. Und das Ding, das sich dreht und Geräusche macht,
wenn sie an der Schnur zieht…«
An der Zugbrücke verkündete ein Schild: »Letzte
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