Ruhig Blut!
Winds.
»Oh, ich glaube an Tee und den Sonnenaufgang und so etwas«, ent-
gegnete Oma.
»Ich meinte Religion.«
»Ich kenne einige Götter hier in den Bergen, wenn du darauf hinaus-
willst.«
Himmelwärts seufzte. »Viele Menschen finden großen Trost im Glau-
ben«, sagte er und bedauerte, daß er nicht zu ihnen gehörte.
»Gut.«
»Tatsächlich? Ich hätte mit Widerspruch gerechnet.«
»Solange sich die Leute anständig benehmen, steht es mir nicht zu, ih-
nen zu sagen, woran sie glauben sol en.«
»Aber fühlst du dich nicht dazu hingezogen, in besonders dunklen
Stunden?«
»Nein. Ich habe schon eine Wärmflasche.«
Der Sanfte Falke schlug mit den Flügeln. Himmelwärts starrte in den
feuchten, dunklen Nebel. Ärger quol plötzlich in ihm empor.
»Und du glaubst, das macht Religion aus, wie?« fragte er und versuchte,
sein Temperament unter Kontrolle zu halten.
»Normalerweise denke ich gar nicht darüber nach«, sagte die Stimme
hinter ihm.
Sie klang leiser und schwächer. Omas Hand tastete nach seinem Arm,
um sich daran festzuhalten…
»Ist alles in Ordnung mit dir?« fragte Himmelwärts.
»Ich wünschte, dieses Tier würde schneller laufen… Ich bin nicht ganz
ich selbst.«
»Wir könnten anhalten und eine Pause einlegen!«
»Nein! Jetzt ist es nicht mehr weit! Oh, ich bin so dumm gewesen…«
Donner grol te. Die Hand rutschte vom Arm des Priesters, und kurz
darauf verriet ein dumpfes Pochen, daß Oma Wetterwachs auf dem Bo-
den gelandet war.
Sofort sprang Himmelwärts vom Rücken des Maulesels herunter. Oma
lag mit geschlossenen Augen im Moos, und als er nach ihrer Hand griff,
fühlte er einen erschreckend schwachen Puls. Außerdem war ihre Haut
eiskalt.
Er klopfte ihr vorsichtig auf die Wangen, und schließlich kamen ihre
Lider nach oben.
»Wenn du jetzt noch einmal auf Religion zu sprechen kommst, ziehe
ich dir das Fel über die Ohren«, keuchte Oma. Erneut schloß sie die
Augen.
Himmelwärts setzte sich, um wieder zu Atem zu kommen. Eiskalt…
Ja, Kälte ging von ihr aus, als bemühte sie sich die ganze Zeit, jede Art
Wärme von sich fernzuhalten.
Wieder hörte er Geräusche, die von einem Pferd stammten, und das
leise Klirren von Zaumzeug gesellte sich hinzu. Dann war es still.
»Hallo?« fragte Himmelwärts. Er stand auf und versuchte, den Reiter in
der Dunkelheit zu erkennen, aber er sah nur einen vagen Schemen, noch
immer ein ganzes Stück entfernt.
»Folgst du uns? Hallo?«
Der Priester ging einige Schritte und sah das Pferd – mit gesenktem
Kopf stand es im Regen. Der Reiter blieb ein Schatten im Dunkeln.
Von jäher Furcht erfaßt, eilte Himmelwärts zu Oma zurück. Dort zog
er den nassen Mantel aus und deckte sie damit zu, obwohl das eigentlich
nicht viel nützte. Dann sah er sich um und hielt nach etwas Ausschau,
das sich für ein Feuer eignete. Feuer, genau das richtige Mittel. Es brachte Leben und vertrieb die Dunkelheit.
Doch die Bäume waren al esamt hohe Tannen, und mit dem nassen
Adlerfarn zwischen ihnen ließ sich kaum etwas anfangen. Hier gab es
nichts Brennbares.
Himmelwärts griff in die Tasche und fand die gewachste Schachtel mit
seinen letzten Streichhölzern. Einige trockene Zweige oder Grasbüschel
genügten, irgend etwas, mit dem sich weitere Zweige trocknen ließen…
Regen tropfte durch das Hemd des Priesters. Die Luft war voller Was-
ser.
Er beugte sich vor, damit sein Hut die Tropfen fernhielt, zog dann das
Buch Om aus der Tasche, in der Hoffnung, daß es ihm Trost spendete. In einer solchen Zeit der Not würde ihm Om bestimmt den Weg weisen…
Ich habe schon eine Wärmflasche…
»Verdammt«, sagte er halblaut.
Er schlug das Buch an einer beliebigen Stel e auf, entzündete ein
Streichholz und las: »… und zu jener Zeit, im Land der Zyriniten, gab es plötzlich viel mehr Kamele als sonst…«
Das Streichholz erlosch mit einem leisen Zischen.
Keine Hilfe, kein Hinweis. Himmelwärts versuchte es erneut.
»… und blickte auf Gul-Arah herab, und auf die Klage der Wüste, und ritt dann nach…«
Er erinnerte sich an das spöttische Lächeln des Vampirs. Welchen
Worten konnte er trauen? Mit zitternder Hand entzündete er das dritte
Streichholz, blätterte kurz und las dann im matten, flackernden Schein:
»… und Brutha sprach zu Simony: ›Wo die Dunkelheit regiert, schaf en wir ein großes Licht…‹«
Das winzige Feuer erlosch. Und die Dunkelheit regierte wieder.
Oma Wetterwachs stöhnte. Ein Teil von
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