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Ruhig Blut!

Ruhig Blut!

Titel: Ruhig Blut! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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meine Großmutter von mor-
    gens bis abends zermalmt und niedergestreckt«, sagte Himmelwärts. »Sie
    urteilte ziemlich schnell.«
    »Daran gibt es nichts auszusetzen. Es entspricht der menschlichen Na-
    tur, über Dinge und Leute zu urteilen.«
    »Wir überlassen dies lieber Om«, meinte Himmelwärts. Hier draußen
    im Dunklen klang diese Bemerkung ziemlich einsam und verlassen.
    »Als Mensch urteilt man ununterbrochen«, fuhr die Stimme hinter ihm
    fort. »Dies und das, gut und böse. Jeden Tag muß man wählen und ent-
    scheiden. Das bedeutet es, Mensch zu sein.«
    »Und bist du sicher, daß du immer die richtigen Entscheidungen
    triffst?«
    »Nein. Aber ich kann mir Mühe geben.«
    »Und auf Gnade hoffen?«
    Ein knochiger Finger bohrte sich in seinen Rücken.
    »Gnade ist eine gute Sache, aber zuerst kommt das Urteil. Andernfal s
    weiß man gar nicht, wem oder was man Gnade gewähren sol . Wie dem
    auch sei: Ich dachte, ihr Omnianer seid ganz versessen darauf, andere Leute zu zermalmen und niederzustrecken.«
    »Das… war einmal. Heute fal en wir nicht mehr über andere Menschen
    her, sondern über die Argumente anderer Menschen.«
    »Ihr führt sicher sehr lange und hitzige Debatten.«
    »Nun, jede Frage hat zwei Seiten…«
    »Und was macht ihr, wenn eine davon falsch ist?« Die Gegenfrage kam
    so schnell wie ein Pfeil.
    »Ich meine, man fordert uns auf, die Dinge auch aus der Perspektive
    der anderen Person zu sehen«, erklärte Himmelwärts geduldig.
    »Soll das heißen, daß Folter, aus der Sicht des Folterers gesehen, voll-
    kommen in Ordnung ist?«
    »Frau Wetterwachs, du bist ein geborener Disputant.«
    »Nein, bin ich nicht!«
    »In der Synode hättest du bestimmt jede Menge Spaß. Dort hat man
    sich tagelang über die Frage gestritten, wie viele Engel auf einem Steck-
    nadelkopf tanzen können.«
    Himmelwärts glaubte fast zu hören, wie Omas Verstand arbeitete.
    Schließlich fragte sie: »Wie groß ist die Stecknadel?«
    »Das weiß ich leider nicht.«
    »Nun, wenn es sich um eine gewöhnliche Stecknadel handelt, wie man
    sie daheim benutzt, so lautet die Antwort: sechzehn.«
    »Sechzehn Engel?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Keine Ahnung. Viel eicht tanzen sie gern.«
    Der Maulesel lief nun eine Böschung hinab. Unten wurden die Nebel-
    schwaden dichter.
    »Du hast sechzehn gezählt?« fragte Himmelwärts schließlich.
    »Nein, aber diese Antwort ist so gut wie jede andere. Und über solche
    Dinge diskutieren eure heiligen Männer?«
    »Nun, meistens geht es bei den Diskussionen um wichtigere Dinge.
    Zum Beispiel findet derzeit eine interessante Debatte über die Natur der
    Sünde statt.«
    »Was glaubst du? Bestimmt sind alle gegen die Sünde.«
    »So einfach ist das nicht. Bei dieser Angelegenheit gibt es nicht nur
    Schwarz und Weiß, sondern auch viele Grautöne.«
    »Unsinn.«
    »Wie bitte?«
    »Es gibt keine Grautöne, nur schmutziges Weiß. Es überrascht mich,
    daß du das nicht weißt. Und Sünde ist, wenn man Menschen wie Dinge
    behandelt, junger Mann. Das gilt auch für dich selbst. Genau darin be-
    steht die Sünde.«
    »Die Wirklichkeit ist ein wenig komplizierter…«
    »Nein, ist sie nicht. Wenn jemand sagt, die Wirklichkeit sei ein wenig
    komplizierter, so bedeutet das nur, daß der Betreffende die Wahrheit
    fürchtet. Menschen wie Dinge behandeln – da fängt al es an.«
    »Oh, es gibt bestimmt schlimmere Verbrechen…«
    »Aber sie beginnen damit, daß man von Menschen so denkt, als wären
    sie Dinge…«
    Omas Stimme verklang. Himmelwärts ließ den Maulesel einige Minu-
    ten lang weitergehen, und dann wies ein Schnaufen darauf hin, daß die
    alte Hexe wieder erwacht war.
    »Bist du stark im Glauben?« fragte sie. Sie schien nicht bereit zu sein,
    die Dinge ruhen zu lassen.
    Himmelwärts seufzte. »Ich versuche es.«
    »Aber bestimmt liest du viele Bücher. Und es ist schwer, fest im Glau-
    ben zu sein, wenn man viele Bücher liest.«
    Himmelwärts war froh, daß sie sein Gesicht nicht sehen konnte.
    Schaute ihm Oma Wetterwachs von hinten in den Kopf?
    »Ja«, antwortete er.
    »Aber du glaubst trotzdem, oder?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Ohne meinen Glauben hätte ich überhaupt nichts.«
    Er wartete eine Zeitlang und startete dann einen Gegenangriff.
    »Glaubst du an nichts, Frau Wetterwachs?«
    Einige Sekunden herrschte Stille, während der Maulesel über moosbe-
    wachsene Baumwurzeln hinwegtrat. Hinter ihnen erklang ein Geräusch
    wie von einem Pferd, aber es verlor sich im Seufzen des

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