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Ruhig Blut!

Ruhig Blut!

Titel: Ruhig Blut! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Des-
    halb hatte sich bedauerlicherweise nie eine Art Regierung bilden können.
    Um die meisten Dinge, die sich nicht vermeiden ließen, kümmerte sich
    Shawn. Er leerte die Aborte im Palast, stellte die wenige Post zu, be-
    wachte die Wehrwäl e, hielt die Königliche Münze in Betrieb, glich den
    Etat aus und half in seiner Freizeit dem Gärtner. Wenn es erforderlich
    war, die Grenzen zu kontrollieren – Verence glaubte, daß gelb und
    schwarz gestreifte Pfähle einem Land einen professionellen Eindruck verliehen –, stempelte er Pässe beziehungsweise irgendein Stück Papier, das
    die Reisenden vorweisen konnten, zum Beispiel einen Briefumschlag. Er
    benutzte dazu einen Stempel, den er mehr oder weniger geschickt aus
    einer halben Kartoffel geschnitten hatte. Shawn nahm al es sehr ernst. Er
    sprang auch für den Butler Spriggins ein, wenn der nicht im Dienst war,
    und er schlüpfte gelegentlich in die Rolle des Lakaien.
    »N’abend, unser Shawn«, sagte Nanny Ogg. »Wie ich sehe, hast du
    wieder das tote Lamm auf dem Kopf.«
    »Ooh, Mama «, erwiderte Shawn und versuchte, die Perücke zurechtzu-
    rücken.
    »Wo ist der Priester, der die Namensgebung vornehmen sol ?« fragte
    Nanny.
    »Was, Mama? Ich weiß nicht, Mama. Vor einer halben Stunde bin ich
    damit fertig geworden, al die Namen auszurufen, und dann habe ich
    damit begonnen, die aufgespießten Käsestückchen zu verteilen… Ooh,
    Mama, du sol test nicht so viele nehmen, Mama!«*
    Nanny Ogg saugte die Cocktailhäppchen von vier Stäbchen gleichzeitig
    und richtete einen nachdenklichen Blick auf die Menge.
    »Ich werde mit dem jungen Verence reden«, sagte sie.
    »Er ist der König, Nanny«, meinte Agnes.
    »Das ist noch lange kein Grund, sich majestätisch aufzuführen.«
    »Vielleicht doch.«
    »Unsinn. Finde du den Omnianer und behalt ihn im Auge.«

    * Die Bewohner von Lancre lehnten die Demokratie ab und vertraten den
    Standpunkt, daß der König regieren sol te. Das war immerhin seine Pflicht, und sie würden ihn schon darauf hinweisen, wenn er irgend etwas falsch machte.
    Trotz dieser Einstellung gaben die Lancrestianer keine guten Bediensteten ab.
    Oh, sie konnten kochen, graben, waschen, nähen und so weiter. In dieser Hin-
    sicht ließen sie nichts zu wünschen übrig, aber es mangelte ihnen an der richtigen Bedienstetenmentalität. König Verence wußte darüber Bescheid und fand
    sich damit ab, daß Shawn Gäste in den Speisesaal führte und rief: »Leckere
    Fressalien, greift zu, solange das Zeug warm ist!«
    »Wonach sol ich denn Ausschau halten?« fragte Agnes verdrießlich.
    »Nach einer Rauchsäule?«
    »Sie tragen alle Schwarz«, sagte Nanny fest. »Ha! Das ist typisch für
    sie!«
    »Tatsächlich? Das gilt auch für uns.«
    »Ja, aber wir…« Nanny klopfte sich auf die Brust, die dadurch in er-
    hebliche Bewegung geriet. »Wir tragen richtiges Schwarz, klar? Geh jetzt und sei unauffällig«, sagte sie zu einer jungen Frau, die einen sechzig
    Zentimeter hohen und spitz zulaufenden schwarzen Hut trug.
    Erneut sah sie sich in der Menge um und stieß ihren Sohn an.
    »Shawn, du hast Esme Wetterwachs doch eine Einladungskarte ge-
    bracht, oder?«
    Er wirkte erschrocken. »Natürlich, Mama.«
    »Unter der Tür hindurchgeschoben?«
    »Nein, Mama. Du weißt ja, wie sehr sie letztes Jahr geschimpft hat, als
    sich die Schnecken über die Postkarte hermachten. Ich habe sie in die
    Türangel geklemmt und mich vergewissert, daß sie richtig fest saß.«
    »Braver Junge«, sagte Nanny.
    Von Briefkästen hielten die Lancrestianer nicht viel. Post traf nur sel-
    ten ein; heftige Stürme waren weitaus häufiger. Warum also einen Schlitz
    in die Tür sägen, durch den ungebetener Wind ins Haus gelangen konn-
    te? Man legte Briefe unter schwere Steine, stopfte sie in Blumentöpfe
    oder schob sie unter der Tür durch.
    Es waren nie sehr viele.* In Lancre herrschte ein ausgeprägtes Fehden-
    system, was bedeutete: Die Leute stritten die ganze Zeit über und vererb-
    ten den Streit ihren Nachkommen. In manchen Fäl en reichte die Feh-
    dentradition über mehrere Generationen. Ein ordentlicher Groll hatte in
    Lancre ähnliche Bedeutung wie guter Wein. Man behandelte ihn vorsich-
    tig und respektvoll und vermachte ihn den Kindern.
    Man schrieb niemandem. Wenn man jemandem etwas mitzuteilen hatte,

    * Abgesehen von den Briefen, die mit Postanweisungen kamen und im großen
    und ganzen den gleichen Text enthielten: »Liebe Eltern, in Ankh-Morpork geht es mir

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