Ruhig Blut!
dem Schluß gekommen wäre, daß sich Sally leichter
schreiben ließ.
»Komm mit«, seufzte sie.
»Ich kann wirklich nicht oft genug… ähm… darauf hinweisen, wie
sehr ich dies bedauere…«
»Es war die ganze Zeit über ein sehr seltsamer Abend.«
»Ich habe, ich habe, ich habe noch nie von einem solchen Brauch ge-
hört…«
»Bei uns mißt man Worten große Bedeutung bei.«
»Der König wird Pater Melchio sicher keinen… ähm… sehr guten Be-
richt über mich erstatten…«
»Und wenn schon.«
Manche Leute können selbst eine sehr liebenswürdige Person in einen
Rüpel verwandeln, und Hilbert Himmelwärts gehörte dazu. Irgend etwas
an ihm erschien… klamm. Ihm haftete jene Art hilfloser Hoffnungslosigkeit an, die in anderen Menschen kein Mitleid, sondern Zorn weckt. Er
brachte eine sonderbare absolute Gewißheit zum Ausdruck: Wenn die
ganze Welt eine Party wäre, würde es ihm dennoch gelingen, die Küche zu finden.
Agnes schien ihn am Hals zu haben. Die hohen Tiere standen jetzt
dicht gedrängt an der großen Tür, wo lautes Jubeln darauf hinwies, daß
die Bürger von Lancre Auf-die-richtige-Schreibweise-achten als guten
Namen für ihre zukünftige Königin erachteten.
»Vielleicht solltest du irgendwo Platz nehmen und dich wieder unter
Kontrolle bringen«, schlug Agnes vor. »Später wird getanzt.«
»Oh, ich tanze nicht«, sagte Hilbert Himmelwärts. »Der Tanz ist eine
Falle für den Willensschwachen.«
»Oh. Nun, dann wäre da noch der Grill draußen…«
Hilbert Himmelwärts betupfte sich erneut die Augen.
»Gibt es auch… ähm… Fisch?«
»Das bezweifle ich.«
»In diesem Monat essen wir nur Fisch.«
»Oh.« Ein sarkastischer Tonfal schien nicht zu wirken. Er wol te wei-
ter mit ihr reden.
»Weil der Prophet Brutha auf Fleisch verzichtete, als er… ähm…
durch die Wüste wanderte.«
»Was erdichtete?«
»Wie bitte?«
»Entschuldigung, ich habe dabei an etwas anderes gedacht.« Agnes soll-
te es eigentlich besser wissen, aber sie wehrte sich nicht gegen die Neu-
gier. »Welches Fleisch gibt es in der Wüste?«
»Keins… ähm… glaube ich.«
»Der Prophet Brutha hat also keine Wahl getroffen.«
Agnes sah zu der Menge – niemand schien geneigt zu sein, an ihrem
Gespräch mit dem omnianischen Priester teilzunehmen.
»Ähm… das mußt du… ähm… Pater Melchio fragen. Tut mir sehr
leid. Ich fürchte, ich bekomme Migräne…«
Du glaubst kein Wort von dem, was du sagst, oder? dachte Agnes. Er
strahlte Nervosität und dumpfes Entsetzen aus. Was für ein armseliger kleiner Wurm, fügte Perdita hinzu.
»Ich muß… äh… ich muß jetzt gehen und… ich muß jetzt gehen
und… helfen«, sagte Agnes und wich zurück. Hilbert Himmelwärts nick-
te. Als sie ging, putzte er sich erneut die Nase, holte ein kleines schwar-
zes Buch hervor, seufzte und schlug es beim Lesezeichen auf.
Agnes griff nach einem Tablett, um ihr Alibi etwas glaubwürdiger er-
scheinen zu lassen, trat zum Büffettisch, sah noch einmal zu der einsa-
men Gestalt zurück, die so fehl am Platz wirkte wie ein verirrtes Schaf –
und stieß gegen jemanden, der so massiv zu sein schien wie ein Baum.
»Wer ist diese seltsame Person?« erklang eine Stimme an ihrem Ohr.
Agnes hörte, wie Perdita sie dafür verfluchte, daß sie zur Seite gesprun-
gen war. Sie riß sich zusammen und blickte mit einem schiefen Lächeln
zu dem Sprecher.
Es war ein junger Mann, und ein attraktiver dazu. In Lancre wimmelte
es nicht gerade von attraktiven Männern – hier galt es als chic, sich die
Hand zu belecken und damit das Haar glattzustreichen, bevor man eine
junge Dame ausführte.
Er hat einen Pferdeschwanz ! quiekte Perdita. He, das ist cool !
Agnes spürte, wie sie irgendwo im Bereich der Knie zu erröten begann.
Die Hitze dehnte sich aus und wuchs nach oben.
»Äh… wie bitte?« erwiderte sie.
»Man kann ihn praktisch riechen«, sagte der Mann und nickte andeu-
tungsweise in Richtung des armen Priesters. »Sieht aus wie eine schmud-
delige kleine Krähe, findest du nicht?«
»Äh… ja«, brachte Agnes hervor. Die Hitze erreichte ihre Brust und
setzte den unaufhaltsamen Aufstieg fort. Ein Mann mit einem Pferde-
schwanz – so etwas hatte es in Lancre bisher noch nicht gegeben. Seine
Kleidung verriet, daß er an einem Ort gewesen war, wo sich die Mode
nicht nur einmal im Leben änderte. Niemand in Lancre hatte jemals eine Weste mit aufgestickten Pfauen getragen.
Sag etwas !
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