Ruhig Blut!
tatfächlich Igor.« Er hob den
Zeigefinger. »Aber ich hätte auch jemand ganf anderer fein können!«
»Es ist eine kalte Nacht«, sagte Nanny fröhlich. »Können wir dir was
besorgen?«
»Vielleicht ein Handtuch?« fragte Agnes.
Nanny stieß sie in die Rippen. »Wie wär’s mit einem Glas Wein?«
»Ich trinke keinen… Wein«, erwiderte Igor hochmütig.
»Ich habe Brandy dabei«, sagte Nanny und hob den Rock.
»Oh, na fön. Bei Brandy fieht die Fache anderf auf.«
Schlüpferbeingummi flitschte im Halbdunkel.
»Nun…«, sagte Nanny und reichte den Flachmann nach oben, »was
machst du so fern der Heimat, Igor?«
»Warum fteht da ein dummer Trol auf der… Brücke?« fragte Igor und
ergriff den Flachmann mit einer großen Hand, die nur aus Narben und
Nähten zu bestehen schien, wie Agnes bemerkte.
»Oh, du meinst den Großen Dummen Dummkopf? Der König läßt
ihn unter der Brücke wohnen, vorausgesetzt er wird offiziel , wenn wir
Besuch bekommen.«
»Dummkopf ift ein feltfamer Name für einen Troll.«
»Er wol te nicht Blödmann genannt werden«, erwiderte Nanny.
»Nun… ich kannte mal einen Igor aus Überwald. Er hinkte. Sein eines
Auge saß etwas weiter oben als das andere. Er hatte die selbe Art wie du
zu… sprechen. Er konnte gut mit Gehirnen jonglieren.«
»Klingt nach meinem Onkel Igor«, sagte Igor. »Er arbeitete für den
verrückten Arzt in Blinf. Ha, und er war ein echter verrückter Arzt, nicht
fo wie die verrückten Ärfte von heute. Und mit den Dienern fteht’f ge-
naufo schlimm. Haben heute keinen Ftolf mehr.« Er klopfte auf den
Flachmann. »Wenn man Onkel Igor lofschickte, um ein ordentlichef
Gehirn fu holen, fo kam er mit einem ordentlichen Gehirn zurück, ja-
wohl! Er taftete nicht ungeschickt umher und klaute ein Gehirn auf ei-
nem Behälter mit der Auffrift ›Total irrfinnig‹, in der Hoffnung, niemand
würde etwaf bemerken. Früher oder fpäter kommt’f immer rauf, meif-
tenf früher.«
Nanny wich einen Schritt zurück. Speichel spritzte von Igors Lippen –
bei einem Gespräch mit diesem Mann brauchte man einen Regenschirm.
»Ich glaube, von dem Burschen habe ich gehört«, sagte sie. »Hat er
nicht neue Leute aus Teilen toter Leute zusammengenäht?«
»Was, tatsächlich?« entfuhr es Agnes schockiert. »Au!«
»Ja, daf ftimmt. Gibt ef da irgendein Problem?«
»Nein, ich nenne das umsichtig«, erwiderte Nanny und nahm den Fuß
von Agnes’ Zehen. »Meine Mutter verstand sich bestens darauf, aus alten
Teilen eine neue Decke zu nähen, und Personen sind mehr wert als Lei-
nen. Er ist jetzt also dein Herr, wie?«
»Nein, mein Onkel Igor arbeitet noch immer für ihn. Ift dreihundert-
mal vom Blitz getroffen worden und schuftet noch immer die ganze
Nacht durch.«
»Trink noch was von dem Brandy, es ist sehr kalt hier draußen«, sagte
Nanny. »Wer ist denn dein Herr, Igor?«
»Einen Herr nennft du ihn?« Das Lal en schwoll an, und damit nahm
auch der Sprühregen von Igors Lippen zu. »Ha! Der alte Graf, er war ein echter Gentleman, von der alten Schule. Er wuffte immer, waf fich ge-hört. Richtige Abendkleidung, jederzeit, fo gehört ef fich.«
»Abendkleidung?« hakte Nanny nach.
»Ja! Und diefe Leute tragen fie nur am Abend, kannft du dir daf vorftei-len? Fonft fiehen fie immer in Weften und Fpitzenröcken und waf weif
ich herum! Ha! Weift du, waf diefe Leute getan haben?«
»Sag’s mir…«
»Die Angeln haben fie geölt, jawohl!« Igor nahm einen sehr großzügi-
gen Schluck von Nannys besonderem Brandy. »In einigen Fällen hat ef
Jahre gedauert, bif daf Quietschen richtig klang. Aber nein, immer wie-
der heift ef: ›Igor, vertreib die Fpinnen auf dem Kerker‹, und: ›Igor, kauf
eine ordentliche Öllampe, diefe Fackeln flackern viel zu fehr‹! Ef fieht
allef zu alt auf? Daf Dafein einef Vampirf dreht fich doch um Kontinui-
tät, oder? Wenn man fich in den Bergen verirrt und Licht in einem
Schloff fieht, fo hat man ein Recht auf richtig quietschende Türen und
würdevol -altmodischen Kram, oder?«
»Oh, natürlich«, bestätigte Nanny. »Und auf ein Zimmer mit Balkon.«
»Ganz meine Meinung!«
»Angemessen wogende Vorhänge?«
»Und ob!«
»Richtig tropfende Kerzen?«
»Über Jahre hinweg habe ich mich bemüht, fie richtig tropfen zu laffen.
Aber niemand schert fich darum.«
»Ich fand schon immer, daß es auf die Einzelheiten ankommt«, sagte
Nanny. »Na so was… Unser König hat also Vampire eingeladen.«
Es
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