Ruhig Blut!
pochte leise, als Igor nach hinten kippte, und eine Sekunde später
folgte ein kurzes Scheppern, als der Flachmann auf dem Kopfsteinpflas-
ter landete. Nanny hob ihn auf und ließ ihn wieder unter ihrem Rock
verschwinden.
»Kann erstaunlich viel vertragen«, meinte sie. Nur wenige Leute wagten
es, Nanny Oggs selbstgebrannten Brandy auch nur zu probieren. Das war auch sehr schwierig: Wenn er mit der Wärme eines menschlichen Munds
konfrontiert wurde, verdampfte er sofort. Diesen speziel en Brandy trank
man gewissermaßen mit der Nase.
»Was unternehmen wir jetzt?« fragte Agnes.
»Was wir unternehmen sol en?« wiederholte Nanny.
»Verence hat sie eingeladen. Sie sind Gäste. Meine Frage nach dem
Warum würde er bestimmt mit dem Hinweis beantworten, ich sol te
mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Natürlich hätte er
genügend Anstand, andere Worte zu wählen«, fügte Nanny hinzu, weil
sie wußte, daß der König keine selbstmörderischen Absichten hegte.
»Zum Beispiel ließe er es sich bestimmt nicht nehmen, zwei- oder drei-
mal von ›Respekt‹ zu sprechen. An der Bedeutung ändert sich dadurch
allerdings kaum etwas.«
»Aber Vampire… Was wird Oma dazu sagen?«
»Hör mal, Mädchen: Morgen sind sie wieder fort. Eigentlich sogar heu-
te. Wir behalten sie nur im Auge und winken, wenn sie abreisen.«
»Wir wissen nicht einmal, wie sie aussehen!«
Nanny sah zum schlafenden Igor.
»Viel eicht hätte ich ihn danach fragen sol en«, räumte sie ein. Dann
erhel te sich ihre Miene. »Aber es ist bestimmt möglich, sie zu identifizie-
ren. Gewisse Dinge sind al gemein über Vampire bekannt.«
Es gab tatsächlich gewisse Dinge, die al e Leute über Vampire wußten
– wobei es jedoch zu berücksichtigen galt, daß sie inzwischen auch den
Vampiren selbst bekannt waren.
Im Großen Saal des Schlosses herrschte ein ziemlich lautes Durcheinan-
der. Viele Gäste drängten sich am Büffettisch. Nanny und Agnes halfen
beim Servieren.
»Möchte jemand ein Kannapp-He?« fragte Nanny und schob ihr Tab-
lett in eine vielversprechend wirkende Gruppe.
»Wie bitte?« erwiderte ein Mann. »Oh, du meinst Kanapees…«
Er nahm eine Pastete, biß hinein und wandte sich wieder der Gruppe
zu.
»… und dann sagte ich zu Seiner Exzellenz Meine Güte, was ist das denn ?«
Er drehte sich um und begegnete dem prüfenden Blick der verschrum-
pelten Alten mit dem schwarzen Hut.
»Verzeihung?« sagte sie.
»Dies… dies… dies ist zerstampfter Knoblauch!«
»Hast wohl was gegen Knoblauch, wie?«
»Ich liebe Knoblauch, aber er erwidert diese Liebe nicht! Dies hier schmeckt nicht nur nach Knoblauch – es besteht aus nichts anderem als
Knoblauch!«
Nanny starrte mit übertriebener Kurzsichtigkeit auf ihr Tablett.
»Nein, hier haben wir noch… Da ist ein bißchen… Du hast recht, viel-
leicht haben wir’s ein wenig übertrieben… Verflixt… Nun, ich gehe
und… Ja, ich gehe und hole…«
Am Eingang der Küche kollidierte sie mit Agnes. Zwei Tabletts fielen
zu Boden und verstreuten: Pasteten aus Knoblauch, Knoblauch-Dip, mit
Knoblauch gestopften Knoblauch, kleine aufgespießte Würfel aus Knob-
lauch an Knoblauchknollen.
»Entweder gibt es hier viele Vampire, oder wir machen irgend etwas falsch«, sagte Agnes mit Nachdruck.
» Ich war immer der Meinung, daß man gar nicht genug Knoblauch es-
sen kann«, behauptete Nanny.
»Niemand teilt deine Ansicht, Nanny.«
»Na schön. Was kommt sonst noch in Frage? Ich hab’s! Vampire tra-
gen Abendkleidung, und das ist selbst bei unseren der Fal , am Abend jedenfalls.«
»Hier tragen alle Abendkleidung, Nanny – abgesehen von uns.«
Nanny Ogg sah an sich hinab. »So bin ich abends immer angezogen.«
»Vampire sollten in einem Spiegel eigentlich nicht zu sehen sein, oder?«
fragte Agnes.
Nanny schnippte mit den Fingern. »Gute Idee! Es gibt einen Spiegel
auf der Toilette. Ich gehe dort auf Beobachtungsposten. Früher oder
später taucht da jeder einmal auf.«
»Und wenn ein Mann hereinkommt?«
»Oh, das macht mir nichts aus«, sagte Nanny. »Davon lasse ich mich
nicht in Verlegenheit bringen.«
»Jemand könnte Einwände erheben«, erwiderte Agnes und versuchte,
ein ganz bestimmtes Vorstel ungsbild aus ihren Gedanken zu verdrän-
gen. Nannys Lächeln wirkte recht freundlich, aber es gab Gelegenheiten,
bei denen man es lieber nicht sah.
»Es muß etwas geschehen. Angenommen, Oma träfe jetzt ein – was un-
ternähme
Weitere Kostenlose Bücher