Ruhig Blut!
Bücher
wußten, aber kaum etwas über die Welt. Dieser Kram von Jungvögeln,
die sich aus Asche erhoben… So was konnte nur jemand schreiben, der
keine Ahnung von Vögeln hatte. Und dann die Tatsache, daß es immer
nur einen Phönix gab. Wer das in einem Buch behauptete, gab dadurch
zu erkennen, daß er häufiger an die frische Luft gehen und Frauen ken-
nenlernen sol te. Vögel schlüpften aus Eiern. Sicher, der Phönix gehörte
zu den Geschöpfen, die den Umgang mit Magie gelernt und sie gewis-
sermaßen in ihre Existenz eingebaut hatten. Doch Magie war eine kniff-
lige Angelegenheit, und kein Tier setzte mehr davon ein als unbedingt
notwendig. Woraus folgte: Es gab also ein Ei. Und Eier brauchten Wär-
me, nicht wahr?
Im Verlauf des Morgens hatte Festgreifaah gründlich darüber nachge-
dacht, während er durch das feuchte Gebüsch kroch und die Bekannt-
schaft mehrerer enttäuschter Enten machte. Geschichte interessierte ihn
nicht sonderlich, abgesehen von der Geschichte der Falknerei, aber er
wußte: Einst hatte es Orte mit starker Hintergrundmagie gegeben – hier
und dort existierten sie sogar noch heute. Diese Bereiche konnten recht
aufregend sein und eigneten sich nicht besonders für die Aufzucht von
Jungen.
Wie auch immer der Phönix aussehen mochte: Viel eicht hatte er he-
rausgefunden, wie man die Entwicklung beschleunigen konnte.
Festgreifaah war mit seinen Überlegungen weit gekommen, und mit
etwas mehr Zeit hätte er vielleicht auch den nächsten Schritt hinter sich
gebracht.
Ein ganzes Stück nach Mittag verließ Oma Wetterwachs das Moorland,
und ein Beobachter hätte sich vermutlich gefragt, warum es so lange
dauerte, ein relativ kleines Moor zu durchqueren.
Der Bach hätte dem Beobachter sicher noch mehr Kopfzerbrechen be-
reitet. Das Wasser hatte eine mit Felsen und Steinen übersäte Rinne in
den Torf gewaschen. Eine gesunde Frau wäre imstande gewesen, ans
andere Ufer zu springen, aber jemand hatte einen breiten Stein in die
Strömung gelegt, um gewissermaßen eine Brücke zu schaffen.
Oma Wetterwachs sah eine Zeitlang darauf hinab, griff dann in ihren
Beutel, holte ein schwarzes Tuch daraus hervor und legte sich eine Au-
genbinde um. Dann trat sie auf den breiten Stein, ging mit kleinen, lang-
samen Schritten und hielt die Arme ausgebreitet, um das Gleichgewicht
zu halten. Auf halbem Wege zur anderen Seite sank sie auf Hände und
Knie, verharrte einige Minuten lang in dieser Haltung und schnaufte.
Dann kroch sie weiter, Zentimeter um Zentimeter.
Das Wasser des Torfbaches plätscherte fröhlich über die tiefer gelege-
nen Steine.
Der Himmel glitzerte. Er war blau mit weißen Wolken, aber er wirkte
seltsam, wie ein auf Glas gemaltes Bild, das zerbrochen und falsch zu-
sammengesetzt worden war. Eine dahinziehende Wolke verschwand an
einer unsichtbaren Grenzlinie, um an einer ganz anderen Stelle des
Himmels wieder aufzutauchen.
Die Dinge waren nicht das, was sie zu sein schienen. Aber darauf hatte
Oma Wetterwachs schon immer hingewiesen.
Agnes mußte Himmelwärts praktisch in Nanny Oggs Haus ziehen. Es
wich so sehr vom Konzept einer Hexenhütte ab, daß es sich ihm von der
anderen Seite näherte. So neigte es zu fröhlichen Farben, die Schwarz
ausklammerten; außerdem roch es nach Bohnerwachs und Möbelpolitur.
Totenschädel fehlten ebenso wie sonderbare Kerzen, abgesehen von der
rosaroten, die Nanny in Ankh-Morpork gekauft hatte und nur Gästen
mit dem richtigen Sinn für Humor zeigte. Es gab viele Tische, und sie
dienten hauptsächlich dazu, die große Anzahl an Zeichnungen und Iko-
nographien des riesigen Ogg-Clans zu präsentieren. Auf den ersten Blick
schien es, daß sie zufäl ig plaziert waren, doch es steckte ein ganz be-
stimmtes System dahinter. Die Bilder wechselten immer wieder ihre
Plätze – es hing ganz davon ab, welche Familienmitglieder in Ungnade
fielen und welche sich besonderer Beliebtheit erfreuten. Wer zum Bei-
spiel auf dem kleinen wackligen Tisch neben der Katzenschüssel endete,
mußte harte Arbeit leisten. Noch schlimmer war, daß man nicht etwa
deshalb in der Ogg-Hierarchie nach unten sank, weil man sich irgend
etwas zuschulden kommen ließ, sondern deshalb, weil alle anderen Bes-
seres leisteten. Das erklärte auch, warum die Stellen, wo keine Bilder
standen, von Zierat in Anspruch genommen wurden: Kein Ogg, der sich
weiter als zehn Meilen von Lancre entfernte, würde auch nur daran den-
ken, ohne
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