Ruhig Blut!
Agnes’ großem Er-
staunen, mühelos entgegennahm, obwohl sie größer war als er selbst.
»Hier, mein Lieber. Gib den anderen etwas ab – ich weiß natürlich, daß
du nicht allein bist.«
Es klickte und klackte bei der Frisierkommode. Die Hexen sahen auf.
Hunderte von Kobolden erschienen unter dem Zierrat. Die meisten von
ihnen trugen Mützen, deren Spitzen sich in manchen Fäl en so weit nach
vorn neigten, daß sie praktisch nach unten zeigten. Al e waren mit
Schwertern bewaffnet.
»Erstaunlich, wie sie einfach so in den Vordergrund treten können«,
sagte Nanny. »Sie können sich gut verbergen. Dadurch sind sie al die
Jahre über sicher gewesen. Und natürlich deswegen, weil sie alle Leute
umgebracht haben, die sie zu Gesicht bekamen.«
Greebo zog sich mucksmäuschenstill unter Nannys Stuhl zurück.
»Nun, die Herren sind also von den Vampiren vertrieben worden,
wie?« fragte Nanny Ogg, als die Flasche durch die Menge weitergereicht
wurde.
Dutzende von Stimmen erklangen.
»Verdammte Blutsauger!«
»Hinterlistige Burschen!«
»Auf sie drauf, jawoll!«
»Ich schätze, ihr könnt in Lancre bleiben«, sagte Nanny laut genug, um
das akustische Durcheinander zu übertönen.
»Einen Augenblick, Nanny…«, begann Magrat.
Die ältere Hexe winkte rasch ab. »Ich denke da an die Insel im See«,
fuhr sie fort und hob die Stimme. »Dort nisten die Reiher. Genau der
richtige Ort. Jede Menge Fische. Und im Tal kann man gut jagen.«
Die blauen Kobolde drängten sich zusammen. Schließlich sah einer
von ihnen auf.
»Meinste das im Ernst?« fragte er. »Und wir ham dort unsere Ruhe?«
»Oh, ihr wärt ganz euch selbst überlassen«, versprach Nanny. »Aber ihr
dürft kein Vieh stehlen, in Ordnung?«
» Sie stehlen Vieh ?« fragte Agnes ungläubig. »Normal großes Vieh? Wie viele von ihnen sind dafür nötig?«
»Vier.«
»Vier?«
»Einer unter jedem Huf«, erklärte Nanny. »Hab’s mit eigenen Augen
gesehen. Da steht eine Kuh auf der Wiese und denkt an nichts Böses,
und dann raschelt plötzlich das Gras, und jemand ruft ›Hopp, hopp,
hopp!‹, und die Kuh saust an einem vorbei, ohne daß sich ihre Beine
bewegen. Sie sind stärker als Küchenschaben, die Kobolde. Wenn man
auf einen von ihnen tritt, sol te man Schuhe mit möglichst dicken Sohlen
tragen.«
»Du kannst ihnen nicht einfach so die Insel geben, Nanny!« wandte
Magrat ein. »Sie gehört dir nicht!«
»Sie gehört niemandem«, erwiderte Nanny.
»Sie gehört dem König!«
»Oh. Nun, sein Eigentum ist auch deins, nicht wahr? Gib ihnen die In-
sel, und Verence kann dann später ein Stück Papier unterschreiben oder
so. Es ist die Sache wert«, fügte Nanny hinzu. »Wenn wir uns darauf
einigen, daß unser Vieh nicht gestohlen wird. Andernfal s kannst du bald
beobachten, wie Kühe mit hoher Geschwindigkeit hin und her huschen,
manchmal sogar rückwärts.«
»Ohne daß sich ihre Beine bewegen?« fragte Agnes.
»Ja!«
»Nun…«, begann Magrat.
»Außerdem sind sie nützlich«, sagte Nanny und senkte die Stimme. »Sie
kämpfen am liebsten.«
Einer der Kobolde rief etwas Unverständliches.
»Ich meine, sie trinken am liebsten«, berichtigte sich Nanny.
Es schnatterte erneut.
»Sie trinken und kämpfen am liebsten«, übersetzte Nanny.
»Und Muhbiester klauen!« rief ein Kobold.
»Und Kühe stehlen«, sagte Nanny. »Am liebsten trinken, kämpfen und
stehlen sie Kühe. Hör mal. Magrat, ich möchte sie lieber auf unserer
Seite haben und nicht gegen uns. Es gibt ziemlich viele von den Bur-
schen.«
»Was können sie schon machen?« fragte Magrat.
»Nun… Greebo hat Angst vor ihnen«, stel te Nanny fest.
Greebo lag unterm Stuhl und beobachtete die Kobolde besorgt, das ei-
ne Auge gelb, das andere perlweiß. Die Hexen waren beeindruckt. Ein-
mal hatte Greebo sogar einen Elch besiegt. Er griff praktisch alles an,
gelegentlich auch Architektur.
»Man sollte meinen, daß es ihnen nicht weiter schwerfällt, mit Vampi-
ren fertigzuwerden«, sagte Agnes.
»Ach, wir können nicht flatter-flatter«, sagte ein kleiner blauer Mann.
»Hältste uns vielleicht für Blumen der Waldfeen?«
»Sie können nicht fliegen«, meinte Nanny schlicht.
»Trotzdem, es ist eine hübsche Insel…«, murmelte Magrat.
»Mädchen, dein Mann hat mit der Politik herumgepfuscht, und deshalb
sind wir derzeit in Schwierigkeiten, und außerdem muß man geben, um
zu bekommen. Jetzt ist dein werter Gemahl krank, und du bist die
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