Ruhig Blut!
neigte den Kopf zur Seite. »Klingt ganz so, als
versammelte sich eine wütende Menge spontan am Tor. Geh jetzt!«
Agnes eilte durch den Regen fort und hastete um das Schloß herum
zur weit offen stehenden Küchentür. Sie hatte es bis zum Flur hinter der
Küche geschafft, als plötzlich eine Hand nach ihrer Schulter griff. Eine
schemenhafte Bewegung folgte, und dann standen zwei junge Männer
vor ihr.
Sie waren ähnlich gekleidet wie die jungen Opernbesucher, die Agnes
in Ankh-Morpork gesehen hatte. Al erdings hätten seriösere Operngän-
ger vermutlich erwähnt, daß die Westen dieser beiden Jünglinge ein we-
nig zu farbenfroh waren. Zudem trugen sie ihr Haar so lang wie ein
Dichter, der hofft, daß romantisch wal ende Locken die vergeblich ge-
bliebene Suche nach einem Reim für »Narzisse« ausgleichen.
»Warum hast du es so eilig, Mädchen?« fragte einer.
Agnes seufzte. »Hört mal, ich hab’s sehr eilig«, erwiderte sie. »Können
wir die Sache etwas schnel er hinter uns bringen? Ich schlage vor, wir
überspringen die spöttischen Bemerkungen in der Art von ›Ich mag leb-
hafte beziehungsweise leidenschaftliche Frauen‹. Am besten kommen wir
sofort zu der Stelle, an der ich mich aus eurem Griff löse und euch in
die…«
Einer der beiden jungen Männer schlug sie mitten ins Gesicht.
»Nein«, sagte er.
»Das sage ich Vlad!« rief Perdita mit Agnes’ Stimme.
Der andere Vampir zögerte.
»Ha! Er kennt mich!« riefen Agnes und Perdita zusammen. »Ha!«
Einer der beiden Vampire musterte sie von Kopf bis Fuß.
»Was, dich ?« fragte er.
»Ja, sie«, erklang eine Stimme.
Vlad schlenderte näher, die Daumen in die Taschen seiner Weste
gehakt.
»Daimon? Krimson? Zu mir!«
Die beiden jungen Männer kamen der Aufforderung sofort nach und
blieben unterwürfig vor dem Sohn des Grafen stehen. Wieder nahm
Agnes eine schemenhafte Bewegung wahr, und dann kehrten Vlads
Daumen in die Westentaschen zurück. Vor ihm standen die beiden
Vampire zusammengekrümmt. Sie sanken zu Boden.
»So benehmen wir uns nicht unseren Gästen gegenüber«, sagte Vlad. Er trat über den zuckenden Daimon hinweg und streckte Agnes die Hände
entgegen. »Haben sie dir weh getan? Wenn du willst, überlasse ich sie
Lacrimosa. Sie hat gerade die hiesige Folterkammer entdeckt. Und wir
haben Lancre für rückständig gehalten!«
»Oh, das alte Ding«, erwiderte Agnes unsicher. Krimson gab gurgelnde
Geräusche von sich. Ich habe nicht einmal gesehen, wie sich seine Hände bewegten, sagte Perdita. »Äh… es gibt sie schon seit Jahrhunderten…«
»Ach, tatsächlich? Meine Schwester meinte, es fehlten Riemen und
Schnal en. Wie dem auch sei: Sie ist sehr… einfal sreich. Du brauchst nur
ein Wort zu sagen.«
Sag ein Wort, drängte Perdita. Dann wären es zwei weniger.
»Äh… nein«, erwiderte Agnes. Ah… moralische Feigheit der Dicken.
»Äh… wer sind sie?«
»Oh, die Karren haben einige Clanmitglieder hierhergebracht. Vater
meint, sie könnten sich hier nützlich machen.«
»Ach? Sind es Verwandte?« Oma Wetterwachs wäre auf das Angebot einge-
gangen, flüsterte Perdita.
Vlad hüstelte höflich. »Was das Blut betrifft«, sagte er. »Ja, in gewisser
Weise. Aber sie… gehorchen. Komm, hier entlang.«
Er griff sanft nach Agnes’ Arm, führte sie durch den Flur und nutzte
die Gelegenheit, auf Krimsons Hand zu treten.
»Soll das heißen, Vampirismus ist wie… ein Schneeballsystem?« fragte
Agnes. Sie war allein mit Vlad. Es war zugegebenermaßen besser, als mit
den beiden anderen Vampiren allein zu sein, aber unter den gegenwärti-
gen Umständen erschien es Agnes sehr wichtig, den Klang ihrer eigenen
Stimme zu hören, um sich zu vergewissern, daß sie noch lebte.
»Wie bitte?« erwiderte Vlad. »Was haben Schneebäl e damit zu tun?«
»Nein, ich meine… Du beißt in fünf Hälse, und zwei Monate später
steht dir ein ganzer See aus Blut zur Verfügung?«
Vlad lächelte, wenn auch ein wenig vorsichtig. »Ich glaube, wir haben
noch viel zu lernen. Zwar verstehe ich jedes Wort, aber die Bedeutung
des Satzes bleibt mir verborgen. Es gibt bestimmt viel, das du mich leh-
ren kannst. Und ich könnte dir ebenfal s das eine oder andere beibrin-
gen…«
»Nein«, sagte Agnes mit Nachdruck.
»Aber wenn wir… Oh, was stellt der Idiot da an?«
Eine Staubwolke wogte ihnen aus der Küche entgegen. Sie stammte
offenbar von Igor, der einen Eimer und eine Schaufel hielt.
»Igor!«
»Ja,
Weitere Kostenlose Bücher